Geldstrafen für Woolrec-Angeklagte

Nach 49 Verhandlungstagen ein erstinstanzliches Urteil im Woolrec-Prozess: Der frühere Geschäftsführer und ein Gutachter wurden vom Landgericht Gießen wegen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen und der Beihilfe schuldig gesprochen. Für beide Angeklagte verhängte das Gericht hohe Geldstrafen.
Das Verfahren hatte in der Öffentlichkeit einigen Wirbel erzeugt, und so war nach rund 21 Monaten Verhandlungsdauer das Zuschauerinteresse am gestrigen Donnerstag an der Urteilsverkündung im Woolrec-Prozess auch groß. Die siebte große Strafkammer des Landgerichts Gießen unter Vorsitz von Richter Heiko Söhnel sah es als erwiesen an, dass der ehemalige Geschäftsführer des Unternehmens, Edwin Fritsch, des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen in 56 Fällen schuldig zu sprechen sei. Ebenso der Gutachter Prof. Stefan Gäth wegen Beihilfe. Fritsch wurde zu einer Gesamtstrafe von 17 150 Euro (490 Tagessätze zu 35 Euro) verurteilt, Gäth zu 52 500 Euro (350 Tagessätze zu 150 Euro).
Damit folgte die Kammer im Wesentlichen den Anträgen der Staatsanwaltschaft, während die Anwälte der beiden Angeklagten Freispruch für ihre Mandanten gefordert hatten. Zum Hintergrund: Fritsch hatte 2001 eine insolvente Recyclingfirma in Braunfels-Tiefenbach (Lahn-Dill-Kreis) übernommen. Auf deren Gelände lagerten nach wie vor noch größere Mengen an Abfällen von Kunstfasern (KMF). Diese Fasern können über die Atmung tief in die Lunge eindringen (Lungengängigkeit) und stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.
Teure Entsorgung vermieden
Um eine teure Entsorgung mit Kosten von über 500 000 Euro zu vermeiden, habe sich der angeklagte Ex-Geschäftsführer entschlossen, das Unternehmen unter dem Namen Woolrec weiterzuführen, urteilte das Gericht. Dies sei die Geburtsstunde von Woolit gewesen: Die Mineralfasern wurden mit Ton, Melasse und Wasser zu einem Stoff vermischt, der in der Ziegelindustrie als Dämstoff den Ziegeln beigemischt wurde.
Begleitet wurde dieses Verfahren gutachterlich durch Prof. Gäth. 2003 erteilte das Regierungspräsidium Gießen eine Genehmigung für die Produktion des Woolit nach einer vorgegebenen Mixtur. Allen Beteiligten sei klar gewesen, das die Lungengängigkeit nicht aufgehoben wurde, erklärte Richter Söhnel.
In seiner Urteilsbegründung führte er aus, dass die gefährlichen Mineralfaserabfälle nicht entsprechend des behördlich zugelassenen Verfahrens behandelt worden seien. Die Fasern hätten entsprechend des vorher festgelegten Rezepts insbesondere mit Ton, Gelatine und Wasser vermischt werden sollen, um die Fasern einzubinden. So hätte die Mischung zu Ziegelbrennereien gebracht werden sollen, wo erst durch den Brennvorgang die Gefährlichkeit der Fasern endgültig beseitigt werden konnte.
Der Betrieb des Angeklagten habe jedoch über keine Vorrichtungen verfügt, um das festgelegte Mischungsverhältnis zu gewährleisten. Änderungen seien mit Ausnahme des Wasseranteils nicht an das RP weitergeleitet worden. Die Kontrolle sei allenfalls grob händisch am Ende des Produktionsprozesses erfolgt. Da sei dann Wasser dazugegeben worden, wenn das Produkt zu trocken gewesen sei. Die sichere Einbindung der Fasern in einer Matrix für den Transport sei nicht sichergestellt gewesen. Fritsch sei verantwortlich für eine wesentliche Abweichung vom genehmigten Verfahren.
Ein festes Mischungsverhältnis sei aber zwingend gewesen, unterstrich der Vorsitzende Richter. Und es sei Aufgabe des Gutachters gewesen, dies zu kontrollieren. Dessen Prüfungsverfahren habe jedoch die Qualität des Mischungsergebnisses nicht kontrollieren können, es sei schlicht unzulänglich und unzuverlässig gewesen. Der Angeklagte habe seine Mitarbeiter teilweise sogar angewiesen, »ausgedachte Zahen« als Ergebnis der Kontrolle einzutragen.
Dazugehöre auch der seit 2007 in die monatlichen Gutachten aufgenommene Satz: »Die Rezeptur ist eingehalten.« Hinzukommt nach Ansicht des Gerichts die ungeeignete Apparatur zur Überprüfung des Faserfreisetzugsverhaltens. Da Gäth über diese Umstande und die Verhältnisse bei Woolrec Bescheid wusste, habe er vorsätzlich Beihilfe geleistet. Eine Mittäterschaft sah das Gericht nicht, da beim Angeklagten kein wirtschaftliches Eigeninteresse gegeben sei.
Immerhin: Eine Verunreinigung von Böden oder eine konkrete Schädigung der Umwelt hat die Kammer nicht feststellen können. Und die Gefahr durch KMF sei mit dem Brennprozess der Ziegel beendet worden, es habe keine weitere Faserfreisetzung gegeben.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, innerhalb von einer Woche kann Revision eingelegt werden.