Fische zieht es flussaufwärts

Die Stadtnatur hält immer wieder Überraschungen bereit. Fische mit Heimweh beispielsweise. Wie bitte? »Wir hätten das auch nie gedacht«, sagt Stefanie Toth, Sachgebietsleiterin bei der Stadtentwässerung. »Aber sie stehen da schon, immer im Frühjahr und im Herbst, und warten, dass die Niddawehre abgesenkt werden.«
Meerforelle, Nase, Döbel, Barbe. Das muss man sich mal vorstellen. Stehen im Flusslauf vor den Wehren, die das Flussgefälle ausgleichen und normalerweise ein unüberwindliches Hindernis darstellen, und wissen schon: Aha, demnächst werden die runtergefahren, dann können wir wieder barrierefrei nach Hause in unsere Laichgründe, in denen auch wir aus dem Ei geschlüpft sind, und unsererseits für Nachwuchs sorgen. Na, vielleicht denken sie das nicht wirklich wortgetreu, aber ihre Natur lässt sie immer wieder zurückkehren. »Ein bisschen wie Zugvögel«, zieht Stefanie Toth einen schönen Vergleich.
Jetzt haben sie wieder die Gelegenheit. Nach und nach werden die vier Frankfurter Stauwehre der Nidda in Sossenheim, Hausen, Praunheim und Eschersheim abgesenkt und geben den Weg flussaufwärts frei. Bis Weihnachten ziehen die Fische dann weiter, auch in die kleineren Nebenflüsse der Wetterau und des Taunus zum Ablaichen. Sogar die Meerforelle, jahrhundertelang in der Nidda ausgestorben, kehrt verstärkt zurück, hat etwa der Gewässerökologe Gottfried Lehr festgestellt: »Das Konzept scheint also aufzugehen.« Wohl auch ein Erfolg der in den 1990er Jahren begonnenen Renaturierung. Der Verein Interessengemeinschaft Nidda konstatierte schon vor Jahren nachhaltigen Erfolg bei der Wiederansiedlung der Fischart Nase.
Einen »Riesenerfolg« sogar sieht auch Stefanie Toth in den Bemühungen. Zum Konzept gehört neben den saisonalen Wehrabsenkungen auch der Rückbau von Stau- zu Streichwehren, also zu langgezogenen flachen Treppenflusslandschaften, die die Fische ganzjährig überwinden können.
Historischer Verlauf wird reaktiviert
Das Höchster Wehr, 2013 zu dieser Form umgebaut, erfreut nicht nur die Fische, sondern auch ganz besonders die Menschen. Was wiederum die anderen Menschen, die sich um die Fische sorgen, nicht besonders freut. Der Trubel, der an der paradiesischen Oase im Sommer entsteht, ist nicht im Sinne der Erfinderinnen und Erfinder. »Was da passiert, ist ja eigentlich verboten«, sagt Stefanie Toth. Ein Streichwehr ist kein Badestrand, und wer dort ins Wasser geht, zerstört mitunter Laichgründe in den Kiesbänken.
Deshalb will die Stadt am Sossenheimer Wehr, dem nächsten Umbauprojekt, anders vorgehen. Im kommenden Jahr wird es dort ernst, noch im Winter sollen erste Vorarbeiten erledigt werden, inklusive Rodungen. Zur Neugestaltung des Sossenheimer Nidda-Abschnitts gehört, den historischen Verlauf wieder zu aktivieren, samt Grill’schem Altarm, Waldspitze und Kellerseck.
Wenn in Sossenheim der frühere Zustand wiederhergestellt wird, so gut es geht, kommen zwei Brückenbauwerke hinzu, aber auch ein Bereich, in dem die Stadtnatur sich selbst überlassen ist, abgegrenzt durch Randbepflanzung und Nasszonen. »Für Erholungsuchende wird es auch Flächen geben, aber nicht so badestrandartig wie am Höchster Wehr«, kündigt die Sachgebietsleitern an.
Als die turnusmäßige Absenkung der Wehrklappen vor mehr als zehn Jahren begann, gab es durchaus Befürchtungen. Die einen sahen die Gefahr, dass der niedrigere Wasserstand auch dazu führen würde, dass das Grundwasser sinkt - Gebäudeschäden könnten die Folge sein. Die anderen sorgten sich um die Fische in den Nebenarmen, die trockenfallen könnten, so lange das Wasser im Fluss weg ist.
Absperrwände schützen Seitenarme
Beides sei inzwischen kein Thema mehr, sagt Stefanie Toth. Die Nebenarme schützten Absperrwände vor dem Trockenfallen; da seien aber manche Wände marode und müssten demnächst erneuert werden. Wo es kritisch zu werden drohte, hätten Wasserpumpen geholfen. »Notfalls holt jemand die Fische raus.« Beschwerden seien jedenfalls zuletzt nicht mehr gekommen, auch nicht wegen etwaiger Gebäudeprobleme. »Es hat keine Schäden gegeben«, sagt Lothar Ockler, einer derer, die damals Bedenken anmeldeten. »Das Wasser sinkt durchaus, aber das hat keine Auswirkungen auf die Häuser, soweit wir sehen.« Aufs Grün schon - aber daran sei auch der Klimawandel schuld.
»Unsere Untersuchungen zeigen, dass das Grundwasser nur im unmittelbaren Nahbereich ein wenig nachgibt«, sagt Stefanie Toth. Für gravierende Pegelverluste sei die Wehrabsenkung zu kurz. »Da reagiert das Grundwasser viel zu träge.« Ein halbes Jahr brauche es, bis sich so etwas bemerkbar mache. Einst beim Frankfurter U-Bahn-Bau seien Schäden aufgetreten, aber damals habe die Stadt auch viele Monate lang die Pegel deutlich gesenkt.
Für die Fische genügt es, wenn zweimal eine Woche im Frühjahr und zweimal eine Woche im Herbst die Barrieren fallen. Und wie gesagt: Sie warten schon vor dem nächsten Wehr und freuen sich auf daheim.