Experten suchen Ursache: Warum knickte Windrad um?
Kirtorf (ks). »So was kannten wir bisher überhaupt nicht. Das ist ein sehr ungewöhnliches Schadensbild.« Am Tag nach dem Abknicken eines Windrades »Auf dem Heideberg« bei Kirtorf zeigt sich Dr. Horst Meixner, Geschäftsführer der HessenEnergie, immer noch verblüfft.
Warum kann ein Windrad einfach abknicken, obwohl es eigentlich auf Kräfte ausgelegt ist, »die einer Tsunami-Böe trotzen?« Dieser Frage gehen einige Sachverständige seit Montag nach. Landrat Rudolf Marx forderte in einer Stellungnahme, alle weiteren 17 Windkraftanlagen (WKA) des gleichen Typs im Vogelsbergkreis aus Gründen der Sicherheit stillzulegen.
Die Ursache für den Unfall in dem Windpark mit sieben Anlagen war am Montag weiter offen. Der Sachverständige nahm seine Tätigkeit an der weiträumig abgesperrten Fläche bei Kirtorf auf. Er war noch am Sonntag beauftragt worden, hieß es. Umgehend seien auch das Regierungspräsidium Gießen und das Kreisbauamt informiert worden. So war ein RP-Mitarbeiter am Montag ebenfalls vor Ort. Die Experten haben nach Angaben der HessenEnergie die Anlage und die auf dem Boden liegenden Teile gründlich »durchgearbeitet«. Allerdings brauchen die Gutachter weitere Informationen und müssen zudem die Bauteile vorsichtig anheben. Dabei gilt es auch, das Datenaufzeichnungsgerät möglichst unversehrt zu bergen. Am heutigen Dienstag kommen noch weitere Gutachter, etwa von Versicherung und Servicefirma, um sich ein Bild zu machen. »So schnell wie erhofft werden wir die Ursache wohl nicht erfahren,« so Dr. Meixner am Montagnachmittag.
Die drei weiteren Windräder konnten am Montag noch nicht überprüft werden. Es deute vieles auf einen technischen Defekt hin, hieß es von Mitarbeitern des Betreibers HessenEnergie. Zwar wehte am Sonntag ein kräftiger Wind, doch von einem Sturmschaden gehe er nicht aus, so Meixner, eine solche Anlage könne zudem sehr großen Kräften Stand halten. Er wollte zwar nicht über eine mögliche Ursache spekulieren, aber wenn man nach den technischen Fakten gehe, dann sei es zumindest höchst ungewöhnlich, dass eine solche Anlage im oberen Teil des Turms abbricht: »Ein solcher Schadenstyp ist bisher nach meinem Wissensstand einmalig.«
So glaubt Meixner eher an einen mechanischen Schaden im Inneren der Anlage, der zu einem starken Schwanken der WKA samt Aufschaukeln und schließlich zum Abknicken geführt haben könnte. Dabei geht er davon aus, dass dieser Schaden »ganz individuell auf diese Anlage zu beziehen ist«. Ungeachtet dessen hat die HessenEnergie auch alle drei anderen Anlagen dieses Typs aus dem gleichen Baujahr vorsorglich stillgelegt, damit sie von Spezialisten untersucht werden können. Die zerstörte Anlage ist ein Totalschaden. Der verbliebene Rest hat noch eine Höhe von rund 25 Metern. Der Sachschaden wird auf bis zu eine Million Euro geschätzt. Polizeibeamte mussten zahlreiche Schaulustige zu deren Sicherheit vom Unfallort fernhalten.
Jetzt muss bei der HessenEnergie unter anderem geprüft werden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, die Anlagen seien nicht gegen alle Arten von Schäden versichert. Ein klarer Fall wäre es gewesen, wenn etwa ein Blitzeinschlag vorgelegen hätte, doch ein Gewitter gab es am Sonntag in der Gegend nicht. In der Regel gibt es auch keine Betriebsausfallversicherung, so Meixner.
Die Anlage war vor elf Jahren errichtet worden, im gesamten Bundesgebiet seien hunderte dieser Anlagen im Einsatz. Lieferant der Anlage vom Typ D6 war seinerzeit die Firma DeWind aus Schleswig-Holstein, die in der ursprünglichen Form nicht mehr existiere, Teile des Betriebs seien nach China verkauft worden, ein Teil in die USA, ein kleiner Bereich sei in Deutschland verblieben. Klar ist laut Meixner aber, »dass das Risiko beim Betreiber liegt.« HessenEnergie hatte den Windpark 2007 von der Stadt übernommen. Die beschädigte Anlage muss nach derzeitigem Wissensstand ganz neu aufgebaut werden.
Eine rechtliche Klärung hat ergeben, dass für die Stilllegung, Überprüfung und Wiederinbetriebnahme das Regierungspräsidium Gießen zuständig ist, hieß es am Montag aus der Pressestelle beim Vogelsbergkreis. Diese Zuständigkeit bestehe seit 1. Juli 2005. Im Vogelsbergkreis stehen insgesamt 18 Anlagen jenes Typs, bei dem am Sonntag die Havarie eintrat. Landrat Rudolf Marx (CDU) appellierte in einer Stellungnahme an den RP, alle weiteren 17 WKA gleichen Typs im Vogelsbergkreis stillzulegen und erst nach einem TÜV-Gutachten wieder ans Netz gehen zu lassen. »Aus Gründen der Sicherheit« sei dieser Schritt unverzichtbar, so Marx.
Vor Jahren war es bei Ulrichstein-Helpershain bereits zu einem Unfall mit einer Windkraftanlage gekommen. Dort sei das Schadensbild aber ein ganz anderes gewesen, so die HessenEnergie. Als Ursache für diesen Unfall wurde später eine nicht sachgerechte Reparatur des Herstellers festgestellt.