Ein Mann, der seiner Zeit voraus war

Wetzlar - Seine Entscheidung, die Leica-Kleinbildkamera auf den Markt zu bringen, gilt heute als eine der bedeutends-ten unternehmerischen Entscheidungen aller Zeiten. Zwölf Jahre, bevor er gesetzlich festgeschrieben wurde, führte Ernst Leitz II. zudem gemeinsam mit seinem Vater im Jahr 1906 den Acht-Stunden-Arbeitstag ein. Durch seine Zivilcourage und seine große unternehmerische Risikobereitschaft legte er den Grundstein für den Erfolg der Leica.
Rettungsgeschichte lange nicht bekannt
Doch Ernst Leitz II. war nicht nur als Unternehmer und Geschäftsmann seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus. Durch seinen selbstlosen Einsatz half er von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen - zumeist jüdischer Herkunft - zwischen 1933 und 1945 bei der Flucht aus Deutschland und rettete somit nachweislich Dutzende Leben. Vor dem Neuen Rathaus in Wetzlar wurde jetzt eine Gedenktafel aufgestellt, die an Ernst Leitz II. erinnern soll. »66 Jahre nach seinem Tod schließt sich für mich heute ein Kreis«, sagte Oliver Nass, Vorsitzender der Ernst-Leitz-Stiftung und Urenkel von Ernst Leitz II., während der Gedenkveranstaltung.
Nass wies die gut 100 Gäste darauf hin, dass die eindrucksvolle Rettungsgeschichte erst vor rund 20 Jahren bekannt geworden sei. Zwar habe die Familie über die politische Gesinnung seines Urgroßvaters Bescheid gewusst, jedoch habe er nie über seine Heldentaten gesprochen. »Auch nicht, als der Zweite Weltkrieg längst vorbei war«, betonte Nass.
Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD) lobte Leitz als ein »menschliches Vorbild, das davon überzeugt war, Dinge zu tun, statt nur darüber zu reden.« Dass die Rettungsgeschichte von Ernst Leitz II. öffentlich bekannt wurde, ist vor allem Frank Dabba Smith zu verdanken. Smith gilt international als Kenner des Rettungswiderstände. Zunächst hat sich der in London lebende ehemalige Rabbiner, der am Leo Baeck College für angehende Rabbiner lehrt, lediglich für die Geschichte der Ernst Leitz GmbH interessiert. Später verfasste er seine Doktorarbeit über Ernst Leitz II.
1977 sei er zum ersten Mal im heutigen Wetzlarer Rathaus, das damals noch zur Firma Leitz gehörte, zu Gast gewesen, sagte Smith bei seiner Rede. Ernst Leitz II. sei ein »seltener liberaler Geschäftsmann« gewesen, mit dem Herz am rechten Fleck.
Die Gedenktafel für Ernst Leitz II. ist die elfte von insgesamt 25 Tafeln, die im Stadtgebiet aufgestellt werden sollen. Sie sollen an die Opfer der Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern. Wie Ernst Richter, Vorsitzender des Vereins »Wetzlar erinnert«, erklärte, gelangen Interessierte über einen QR-Code, der sich auf der Tafel befindet, auf die Internetseite des Vereins, auf der weitere Informationen zu finden sind. Timo König