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Die Aufräumerin

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Ordnung macht das Leben leichter: Sabine Nietmann am Kleiderschrank in ihrer Wohnung in Frankfurt. © DPA Deutsche Presseagentur

Ordnung macht das Leben leichter. Davon ist die Aufräumexpertin Sabine Nietmann überzeugt. In Zeiten von Instagram und Co warnen Experten aber auch vor einem Selbstoptimierungswahn.

Chaos und Unordnung sind ihr Metier. Wenn es darum geht, vollgepackte Schränke, Keller oder Küchen aufzuräumen, steht Sabine Nietmann parat. Die 35 Jahre alte Frankfurterin ist Ordnungscoach und hilft, wenn einem das eigene Chaos über den Kopf wächst - oder man einfach nur ein paar Tipps beim Aufräumen benötigt. »Ordnung kann das Leben in vielerlei Hinsicht erleichtern. Zudem spart man Geld und Ressourcen«, sagt sie.

Zu ihrem Job ist Nietmann, die in Mainz studiert hat, aus eigener Erfahrung gekommen. In ihrem Hauptberuf als Flugbegleiterin habe sie viele Jahre auf der ganzen Welt eingekauft und immer mehr Sachen in der Wohnung angehäuft, erzählt sie. »Irgendwann habe ich meine Schränke aufgemacht und gedacht, das alles kreiert mehr Frust als Freude.« Dieser Frust habe sich dann in der eigenen überfüllten Hausapotheke manifestiert, in der sie nichts mehr gefunden habe. Es folgte eine radikale Aufräumaktion - und ein sehr befreiendes Gefühl. »Dieses Gefühl von Ballast abwerfen möchte ich auch an andere abgeben.«

Auch wenn man inzwischen wahrscheinlich in jeder größeren Stadt Aufräumexperten findet, gesetzlich geschützt ist der Beruf des Ordnungscoach bislang nicht. Nietmann hat nach eigenen Angaben viel zum Thema gelesen. Dann habe sie erst einmal bei Freunden und Familie geübt, wie solche Aufräumaktionen ablaufen könnten. Inzwischen ist sie gut gebucht und neben Frankfurt vor allem im Rhein-Main-Gebiet - etwa in Wiesbaden, Mainz und Darmstadt - aber auch mal in Gießen oder Marburg im Einsatz. Ein fünfstündiger Einsatz kostet bei ihr rund 500 Euro.

Ihr Kundenstamm bestehe aus ganz unterschiedlichen Menschen. Singles, Familien oder Paare aus verschiedensten Altersgruppen. »Jeder hat seine eigene Geschichte, warum es zu dem Chaos gekommen ist.« Das Begleiten und Loslassen von Dingen aus der Vergangenheit gehe auch mal sehr tief, »und ich bin immer wieder berührt, wie mich die Leute in ihre Lebensgeschichte reinlassen«. Und: »Das Aufräumen hat manchmal erstaunliche Auswirkungen auf das Leben.« So bekomme sie mitunter das Feedback, dass Kundinnen und Kunden, nachdem sie Ordnung geschafft hätten, auch andere Dinge in ihrem Leben hinterfragen würden, etwa was den Job betreffe.

Wie läuft ein Aufräumprozess konkret ab? »Es gibt drei Schritte: Reduzieren, Sortieren, Optimieren«, erklärt Nietmann. Es gehe darum, systematisch zu reduzieren und jedem Gegenstand seinen festen Platz zu geben. Zunächst einmal müsse aber alles ausgeräumt werden. »Gerade die Küche ist oftmals ein Friedhof der Dinge, die man gar nicht braucht.« Wenn die Schränke leer seien und alles auf einem Haufen liege, sei das ein Punkt, an dem sich viele überfordert fühlten. »Ich bin dann wie ein Personal Trainer, der motiviert, Ziele vorgibt und hilft, das Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen.« Wichtig sei ihr, dass die ausgemisteten Sachen möglichst weiterverwendet werden. Sie habe inzwischen ihre Mutter eingestellt, die ihr dabei hilft, die Spenden zu sortieren und zielgerichtet zu verteilen, beispielsweise an Hilfsorganisationen, Flüchtlingsunterkünfte oder Frauenhäuser.

»Ich bin ein Freund davon, weniger Dinge zu haben, denn die machen auch weniger Arbeit«, sagt Psychologe Gereon Lex aus dem rheinland-pfälzischen Kusel. Ohnehin sei es ratsam, Geld nicht nur in materielle Dinge zu investieren, sondern in Erlebnisse. Sich von Lasten zu befreien, verschaffe ein gutes Gefühl. Dabei müsse es nicht nur um das physisch sichtbare Aufräumen gehen, sondern etwa auch darum, sich einen Überblick über die Finanzen zu verschaffen oder Abos zu überprüfen. Aber Lex betont zugleich: Gerade in Zeiten von Social Media und unzähligen Ratgeberbüchern gelte es aufzupassen, nicht in einen Selbstoptimierungswahn zu verfallen. »Nicht dass man einer perfekten Instagram-Welt entsprechen will, die nichts mehr mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hat.«

Auch ihr gehe es nicht um Perfektion, sondern darum, die Leute zu sensibilisieren, achtsamer zu konsumieren, bekräftigt Nietmann.

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