Der Richter und sein Meisterstück

Man kann fragen, wen man will: Zumindest die Medienfraktion des Publikums ist allgemein angetan von der Art, wie der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats Christoph Koller den Prozess gegen Franco A. führt.
Ein Jahr mit Franco A. geht an keinem ganz spurlos vorbei. Manchen Berichterstatter verfolgte der redelustige Schwurbeloffizier bis in den Schlaf. Frühmorgens, wenn der Wecker klingelte - und das tat er in Corona-Zeiten oft, wenn man einen der begehrten Presseplätze ergattern wollte -, dann erschien einem im Halbschlaf auch der Angeklagte und nölte: »Wer hat an der Uhr gedreht? Der Jud! Aufwachen!« Und wenn man dann zerkrumpelt im Verhandlungssaal eintraf und den zerkrumpelten Kolleginnen und Kollegen mitteilte, der Einzige, der einen vor dem Ausrasten bewahre, sei der Richter Koller, der ertrage das ja schließlich auch und müsse dafür gepriesen werden, dann widersprach niemand.
Der 55-Jährige hat im vorigen Jahr ein nicht einfaches Erbe angetreten. Sein Vorgänger im Staatsschutzsenat war Thomas Sagebiel, ein Kaventsmann von Richter, dessen Gemüt die »FAZ« einmal sehr schön mit »souverän bis wütend« zusammengefasst hat. Sagebiels traditionelle Prozesseröffnung war die, den Angeklagten etwas onkelig zu versprechen, er werde sie schon nicht beißen, woran er sich dann im Prozessverlauf oft auch hielt. Sagebiel scheute aber auch kein markiges Wort, was ihm sowohl Follower als auch Hater einbrachte.
Koller ist da dezenter. Was man sofort bemerkt, ist, dass der vierköpfige Rest des Senats unter Kollers Vorsitz viel sichtbarer geworden ist. Der Vorsitzende macht das gut. Er hatte aber auch Zeit zum Üben. Seit 2009 sitzt Koller im Senat, von 2010 an als stellvertretender Vorsitzender.
Koller hat Manieren, das macht ja immer alles einfacher. »Das wäre ja noch schöner!«, werden viele sagen, aber eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Wenn Zeuginnen und Zeugen ein lange Anreise auf sich genommen haben, dankt Koller ihnen dafür. Wenn er merkt, dass jemand an seine Grenzen stößt, pausiert er die Verhandlung. Dem Publikum sagt er, wie lange die Pause dauern wird und ob es sich lohnt, für ein wenig frische Luft erneute Sicherheitskontrollen am Einlass zu durchlaufen. Wenn das immer so wäre, wäre es eine bessere Welt.
Füße auf dem Stuhl geht gar nicht
Im Gegenzug verlangt Koller auch von anderen Benimm. Wenn das Gericht den Saal betritt, so ist es gute Sitte, dass alle Anwesenden sich erheben. Vielen Richtern ist das egal - Richterinnen erst recht, sie schauen erst gar nicht hin und sagen nichts, wenn jemand hocken bleibt. Wenn Koller hinter sein Pult tritt, dann schweift sein Blick durch den Saal, und wehe den Sitzenbleibern! Und auch den Falschsitzern. Einst wagte es eine junge Frau auf einem Presseplatz, die Füße auf dem leeren Vordersitz zu platzieren. »Wir sind hier beim Staatsschutzsenat«, stellte Koller klar und forderte die Missetäterin auf, sich dementsprechend hinzuhocken. »Für wen schreiben Sie überhaupt?« »Für eine Studierendenzeitschrift.« Kollers »So, so!« war die Höchststrafe. Man möchte von Koller nicht gemaßregelt werden. Nicht für Füße auf dem Stuhl und nicht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Wenn aber anfangs alles steht, dann grüßt Koller mit dem immergleichen Satz: »Vielen Dank, bitte nehmen Sie Platz.« Das ist so sicher wie Lemmys Opener »Good evening ladies and gentlemen, we are Motörhead and we play Rock’n’Roll.« Und Lemmy hat ja auch jeder gemocht.
Koller hat Witz. Den hatte Sagebiel auch. Anders als sein Vorgänger, der dabei gerne mal ins Falstaffeske abdriftete, setzt Koller ihn aber dosiert ein. Wenn er aber will, dann lässt Koller wunderschöne Sätze fliegen. Etwa nach den zahlreichen Aussagen von Zeugen, die irgendwann mal für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gearbeitet hatten, und die unisono bestätigten, sobald jemand behauptet habe, er sei Flüchtling aus Syrien - wie Franco A. es getan hatte -, sei jegliche Kontrolle auch in Zweifelsfällen entfallen. »Und wenn ich gesagt hätte, ich sei auf dem Mars geboren, auf dem Mond aufgewachsen, aber soeben aus Syrien geflüchtet - hätte ich subsidiären Schutzstatus bekommen?«, fragte Koller. Bei der Antwort »Ja« verzog er keine Miene. Das hätte auch die Pointe versaut.
Zum Witz gehört auch Gewitztheit
Zum Witz aber gehört auch Gewitztheit: Eines Verhandlungstages will Franco A. wieder einmal beweisen, wie offen er doch nach allen Seiten sei, dass er Hinz wie Kunz gleichermaßen zuhöre und manchmal auch Frau Haverbeck. »Wer ist denn diese Frau Haverbeck?«, fragt Koller scheinheilig. Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats weiß genau, das Ursula Haverbeck Deutschlands prominenteste Holocaustleugnerin ist. Aber A. weiß nicht, das Koller das weiß. »Sie vertritt eine alternative Ansicht zum Holocaust«, relativiert A. - und wird in den nächsten Minuten mehr von seinem Innenleben und seinen Ansichten preisgeben, als ihm lieb sein kann. Wenn der A. den Richter für einen Esel hält, begibt er sich aufs Eis.
An Koller ließ sich mental ankern
Eines hat Koller von Sagebiel übernommen: Er informiert die Angeklagten gerne darüber, was für sie aus seiner Sicht vorteilhaft wäre. Das ist ja auch gut so. Immer wieder im Laufe des Prozesses, wenn die Verteidigungstiraden Franco A.s allzu bizarr gerieten, mahnte er diesen, seine Verteidigungsstrategie doch vielleicht einmal zu überdenken. Er müsse dem Gericht ja nicht beweisen, dass er eigentlich ein nach allen Seiten offener Typ sei. Er solle besser zu den Vorwürfen der Anklage Stellung nehmen. Das alles hätte Koller mit demselben Resultat auch seinem Friseur erzählen können, allerdings hat Koller wohl keinen Friseur, weil er keinen braucht. An Franco A. jedenfalls waren die Hinweise verschenkt. Koller hat all das ertragen, ohne auch nur einmal wirklich die Kontrolle zu verlieren. Im Unmutszenit entzog Koller einmal A. das Wort, als der allzu antisemitischen Unfug schwätzte. Auf die Nonsens-Beweisanträge von A.s Verteidigung - und deren Zahl ist Legion - reagierte er maximal mit milder Schimpfe, und dann tat es ihm auch wieder leid und er entschuldigte sich, indem er so tat, als nähme er die folgenden Beweisanträge ernst.
Mag ja sein, dass das sein Job als Richter ist. Aber in einem Prozess, der kein Ende zu nehmen schien und der durch den immer wieder vorgetragenen gleichen Stuss die Nerven aller Anwesenden auf eine Zerreißprobe gestellt hat, tat es gut, einen zu haben, an dem man mental ankern konnte. Insofern werden alle, wenn Koller denn das Urteil verkündet - und vielleicht könnte das in der kommenden Woche gelingen -, sich zuvor respektvoll und dankbar erheben. Ehrensache! Und weil Koller keiner ist, von dem man gemaßregelt werden möchte.