Der große Umbruch

Von wegen Bankenstadt, Frankfurt ist die City der Baukräne. Allenthalben lugen sie in die Höhe, helfen den Menschen, das Gesicht ihrer Stadt fortlaufend zu verändern. Natürlich geht die immense Bautätigkeit an den Hochschulen nicht vorüber. Im Gegenteil. Auch Forschung und Lehre umgibt der Klang des Fortschritts: Baulärm.
Kaum eine Hochschule Europas hat dabei so gründlich ihren Standort umgewandelt wie die Frankfurter Goethe-Universität. Rund eine Milliarde Euro hat das Land seit den späten 90ern in Steine investiert, weitere Millionensummen sollen noch fließen. Grundlage des Wandels ist die bahnbrechende Entscheidung gewesen, den ehrwürdigen Campus Bockenheim der Uni in das ehemalige Gebäude der IG-Farben im Westend zu verpflanzen.
Ein Campus im Wandel
Von 1998 bis 2001 wurde saniert und umgebaut, schließlich zogen als Erste die Geisteswissenschaften von Bockenheim ins Westend. Das ehemalige Offizierscasino wurde zur Mensa. In der Folge entstanden im Gebiet zwischen IG-Farben-Haus und Miquelallee nach und nach weitere Gebäude: für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften, die Hochschulverwaltung. Den Campus zieren das House of Finance, ein Hörsaalzentrum und, ganz frisch eröffnet, ein imposanter Bau für die Sprach- und Kulturwissenschaften. Architektonisch folgen die Neubauten dabei weitgehend dem Äußeren des Farbenhauses.
Präsidentinnen und Präsidenten der Uni, auch die Stadt- oder Landespolitik werden nicht müde, den Campus zu preisen. Einzigartig in Europa sei der, reihte sich jüngst Hessens Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) in die Schar ein. Bei aller Begeisterung über herrschaftliche Bauten, Fassaden aus Naturstein und tolle Grünzüge: Nicht alle Studierenden sind restlos begeistert.
Vor allem der Allgemeine Studierendenausschuss wird nicht müde zu betonen, dass Freiräume fehlen, in denen die Studierenden sich selbst verwaltet organisieren können. Das Studierendenhaus steht ja noch auf dem Campus Bockenheim. Das sei einmalig in Deutschland mit seinem überbordenden Raumangebot, lobt der AStA: Partykeller, Café, Festsaal, unzählige Arbeitsräume und Büros. Irgendwann soll es auch auf den Campus Westend ziehen. Spatenstich für den Neubau ist wohl im Februar/März.
So lang heißt es noch: ausharren in Bockenheim. Wo noch Reste der Hochschule zu finden sind wie etwa die Unibibliothek oder die Mathematik und Informatik. Damit verteilt sich die Goethe-Uni auf fünf Standorte in der Stadt. Immerhin ist die Goethe eine Voll-Uni, bietet fast alles, was man studieren kann. Nur nicht an einem Fleck. Zu Bockenheim und Westend gesellen sich der Campus Niederrad. Was unter Uni-Klinik subsumiert, sind mehr als 60 Gebäude, 950 Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie 1300 Pflegekräfte.
Am Campus Riedberg sind neben Naturwissenschaften noch Pharmazie, Biochemie, Chemie, Geowissenschaften und andere zu finden. Am Campus Ginnheim trainieren und lernen die Studierenden der Sportwissenschaften. Außerdem gibt es noch das Zentrum für Hochschulsport. Das hat Fitness-Angebote für die ganze Hochschulgemeinde parat.
Auch die Frankfurt University of Applied Sciences am Nibelungenplatz im Frankfurter Nordend ist im Wandel. Im Herzen der Stadt gelegen, wird der Platz langsam eng. Rund 15 000 Studierende sind es inzwischen. 2014 waren es noch 11 500. Die Lösung: die alten Bauten abtragen und durch neue, größere ersetzen. Just im September hat die Hochschule ein neues Seminar- und Mehrzweckgebäude eröffnet. Mit einer Halle für den Sport. Es ist der Auftakt zur Runderneuerung der Hochschule, weitere Baustellen folgen.
Frankfurt ist auch eine Bildungsstadt
Ohnehin wollen die Hochschulen insgesamt sichtbarer werden in der Stadt. Dafür planen sie ja auch die sogenannte Campusmeile entlang des Alleenrings. Dort geben sich die Goethe-Universität, die private Hochschule Frankfurt School of Finance and Management (mit 3000 Studierenden klar auf Wachstumskurs) und die Frankfurt University die Klinke in die Hand. Dazukommt noch die Deutsche Nationalbibliothek. In der Theorie wollen die verschiedenen Institutionen entlang dieser Meile nach dem Vorbild des Museumsufers zusammenrücken und deutlicher machen, dass Frankfurt Bildungsstadt ist. Nicht Bankenstadt. Oder Baukranhausen. G. Grodensky
Das ehemalige Gebäude der IG-Farben war bis 1995 europäisches Hauptquartier der US-Armee. Nach der Deutschen Wiedervereinigung zogen die Amerikaner größtenteils ab, das imposante Gebäude wurde frei. Die Suche nach einer Nachmieterin gestaltete sich schwierig. Städtebaubeirat und Frankfurts damaliger OB Andreas von Schöler (SPD) brachten die Europäische Zentralbank ins Spiel, aber die lehnte ab - wegen der Verstrickung der IG-Farben in der NS-Zeit. Stichworte sind hier Zwangsarbeit, Konzentrationslager und Zyklon B.
Besagte Vergangenheit verhinderte auch eine Umnutzung als Polizeipräsidium. Schließlich machte die Uni das Rennen, wobei der Vorstoß des damaligen Universitätspräsidenten Werner Meißner zunächst als »Schnapsidee« durchgefallen war. Denn auch innerhalb der Hochschule gab es Stimmen, die den Standort als unpassend empfanden. Immerhin hatte sich die Uni in der NS-Zeit auch nicht gerade vorbildlich dem Widerstand angeschlossen. Im Gegenteil: Gut ein Drittel der Professorinnen und Professoren waren jüdisch und mussten die Hochschule verlassen, wie noch einige politisch unliebsame Kräfte. Zahlreiche Studierende wurden zwangsexmatrikuliert. Wie sollte man da einen Umzug ausgerechnet ins IG-Farben-Haus angehen? Der Disput drohte die Hochschulgemeinde zu zerreißen. Zumal zahlreiche Stimmen sich im Sinne eines Neuanfangs dafür ausgesprochen hatten, das Gebäude nur nach seinem Architekten Hans Poelzig zu rufen. Auf regen Protest der Studierenden hin behielt die Uni den Namen IG-Farben-Haus und nutzt den geschichtsträchtigen Ort auch als Gedenkort und Mahnmal.