»Der Flughafen ist am Anschlag«

Christoph Miemietz, 36, ist seit drei Jahren Gewerkschaftssekretär im Verdi-Büro am Flughafen in Frankfurt. Zustände, wie sie dort zurzeit herrschen, hat er noch nicht erlebt. Die Stimmung ist gereizt. Schon jetzt berichtet Miemietz von körperlichen Angriffen von Reisenden und erklärt, warum die Billigfliegerei ein Auslaufmodell ist.
Herr Miemietz, Sie waren kürzlich im Slowenien-Urlaub. Wie war die Abfertigung am Flughafen von Ljubljana?
Deutlich besser als in Frankfurt. Dort gibt es auch wesentlich weniger Flüge, und mit einem internationalen Drehkreuz haben wir es auch nicht zu tun. Allerdings bin ich mit Verspätung in den Urlaub gestartet. Zwei Tage vor Abflug wurde der Flug gecancelt, und ich musste mich selbstständig um einen anderen bemühen.
Wie lange haben Sie nach Ihrer Landung in Frankfurt auf Ihr Gepäck gewartet?
Das war meisterhaft in 15 Minuten da. Der Pilot hat extra angesagt, dass wir großes Glück haben, dass wir gleich abgefertigt werden und wahrscheinlich schnell zu unseren Koffern kommen.
Da haben Sie wirklich Glück gehabt. Es gibt Passagiere, die stundenlang auf ihre Koffer warten oder sie gar nicht bekommen. Stimmt es, dass sich Berge von Gepäck am Flughafen türmen?
Ja, das kann ich bestätigen. Frankfurt ist ein Hub, ein Umsteigeflughafen, der in der aktuellen Situation hoch fragil ist. Wenn eine Verspätung eintritt - und das passiert ständig wegen des Personalmangels - dann erreichen die Leute ihre Anschlussflüge nur knapp. Das Gepäck wird dann aber nicht rechtzeitig abgefertigt, der nächste Anschlussflug ist auch voll und so bleiben die Gepäckstücke liegen. Mitunter müssen die Passagiere mehrere Tage auf Koffer warten.
Das war der Anfang. Nun sind in allen Bundesländern Sommerferien. War der Frankfurter Flughafen darauf vorbereitete?
Der Flughafen war darauf nicht vorbereitet. Das sieht man auch daran, dass Tausende Flüge von der Lufthansa gestrichen wurden und dass der Flughafenbetreiber Fraport auch andere Airlines bittet, Flüge zu streichen, um einen Zusammenbruch im Sommer zu verhindern. Es wurden viele Flüge auch zusammengelegt, das erzeugt sehr viel Frust bei den Passagieren. Und es ist davon auszugehen, dass weitere Flüge gestrichen werden. Das System ist wirklich am Anschlag.
Wo ist der Flaschenhals am Flughafen?
Wir haben vier Flaschenhälse: Den Check-in, wo seit Monaten Personal fehlt und es auch schwierig ist, neues zu gewinnen. Die Bodenverkehrsdienste, die für das Be- und Entladen der Flugzeuge zuständig sind. Nächster Flaschenhals ist die Luftsicherheit. Und der vierte Flaschenhals sind die fehlenden Flugbegleiter, ohne die ein Flugzeug nicht abheben kann.
Fraport-Tochter Fraground hatte in der Pandemie mehr als 1000 befristete Arbeitsverträge bei den Bodenverkehrsdiensten nicht verlängert. Warum kehren diese Leute jetzt nicht zurück?
Wir haben es hier mit 20 Jahren Lohndumping in vielen Bereichen des Luftverkehrs zu tun. Infolge von Outsourcing und Unternehmensausgründungen hatten wir eine Entwicklung von Lohnsenkung, einen Wettbewerb unter den Unternehmen, der über die Löhne lief. Das rächt sich jetzt, noch verstärkt durch die Pandemie. Die Arbeitsplätze wurden unattraktiv. In der Kurzarbeit mussten die Menschen auch noch auf Zuschläge für Wochenenden oder Feiertagsarbeit verzichten. Das hat sie gezwungen, sich auf dem Arbeitsmarkt umzuschauen. Dabei stellten sie fest, dass man in anderen Branchen auch gut verdienen kann.
Der Flughafen hatte immer ein gutes Image als attraktiver Arbeitgeber. Hat sich das gewandelt?
Das hat sich definitiv verändert. Die Krise wird noch einige Zeit dauern. Das führt zu einer Verunsicherung bei den Beschäftigten, das Image ist sehr angekratzt. Viele arbeiten hier weiter sehr gerne und mit Herzblut, machen Überstunden und versuchen, in der aktuellen Situation alles rauszuholen, damit die Menschen wieder reisen können. Aber die Belastung der Beschäftigten ist enorm.
Und da ist noch die schlechte Stimmung der Passagiere?
Ja, sie ist aufgeladen. Die verbalen, aber auch körperlichen Angriffe auf die Beschäftigten nehmen zu. Die Reisenden sind verständlicherweise sehr frustriert und laden das leider bei den Falschen ab. Bei den Beschäftigten am Check-in oder Flugbegleiterinnen. Die Passagiere sollten sich per E-Mail beim Management beschweren. Die haben das Chaos zu verantworten.
Was hat das Management falsch gemacht?
Wir erleben hier eine Folge eines jahrelangen Missmanagements, das sich in den letzten Monaten noch verschärft hat. Beschäftigte wurden die ganze Zeit einzig als Kostenfaktor gesehen. Die Löhne waren vielerorts schlecht. Das sieht man daran, dass die baldige Erhöhung des Mindestlohns 20 Prozent der Beschäftigten in der Luftfahrtbranche zugutekommen wird. Das Lohnniveau ist viel zu gering.
Das heißt, wir Touristen sind billig in den Urlaub geflogen auf dem Rücken der Beschäftigten. Ist die Billigfliegerei ein Auslaufmodell?
Auf alle Fälle, die sozialen und ökologischen Folgen werden ja immer sichtbarer. Billigfliegen war auch politisch gewollt. Losgetreten hat den ganzen Dumpingwettbewerb eine Verordnung der Europäischen Union, gestützt von den nationalen Regierungen. Das hat schon vor Corona begonnen. Corona war da noch mal ein Brandbeschleuniger. Und das rächt sich jetzt.
Für die 3500 Beschäftigten der Fraport-Bodenverkehrsdienste hat Verdi jetzt 14 Prozent mehr Geld und eine Einmalzahlung von 700 Euro erreicht. Ein Nachholeffekt oder eine beachtliche Lohnsteigerung?
Beides. Die Löhne haben in den letzten Jahren stagniert, und das Niveau war schon vor der Pandemie zu gering. Zu einer Zeit, als die Unternehmen hohe Gewinne gescheffelt haben. Die Lohnerhöhung kam zu spät, aber sie kam immerhin.
Fraport hat eigenen Angaben zufolge in diesem Jahr rund 1000 neue Kollegen für die Gepäck- und Bodenabfertigung eingestellt. Warum knirscht es trotzdem weiter?
Das ist kein langfristiger Personalaufbau. Der Großteil davon sind Leiharbeiter. Viele hören auch wieder auf wegen der extrem hohen Arbeitsbelastung. Die Leiharbeit bringt das Gegenteil von kurzfristiger Entlastung angesichts der Personalknappheit und einer Krankenquote von 20 bis 30 Prozent. Die Neuen müssen parallel zur ohnehin stressigen Arbeit noch angelernt werden.