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Das Nachtleben beleben, aber wie?

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Jörg Kratkey Kulturdezernent der Stadt Wetzlar. © Red

Das Angebot an Clubs und Diskotheken in Wetzlar ist drastisch gesunken. Wie nimmt die Stadt die Entwicklung wahr? Und ist es in ihrem Interesse, dass sich in Zukunft etwas daran ändert? Wetzlars Kulturdezernent Jörg Kratkey spricht im Interview über die Gründe des Clubsterbens in der Region.

Welche Möglichkeit gibt es, mit Freunden in Wetzlar oder der unmittelbaren Umgebung in einem Club oder einer Diskothek feiern zu gehen?

Insbesondere junge Leute, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen, merken schnell: Das Angebot ist überschaubar. Denn mit dem Silver Event Club am Eisenmarkt oder der Eventwerkstatt im Dillfeld gibt es aktuell nur zwei stadtnahe Anlaufstellen, die regelmäßig ihre Türen zum Tanzen öffnen.

Doch woran liegt es, dass das einst üppige Angebot von damals nicht mehr existiert? Wie beobachtet die Stadt Wetzlar die Entwicklung? Fragen, die Kulturdezernent Jörg Kratkey (SPD) im Gespräch mit dieser Zeitung beantwortet.

Herr Kratkey, wohin würden Sie denn gehen, wenn Sie am Wochenende in Wetzlar mit ihren Freunden richtig abfeiern wollen?

Ich glaube, dass wir für eine Stadt in unserer Größenordnung eine ganz ordentliche Kneipenszene haben. Alternativ, da hängt es natürlich davon ab, was dort gerade so stattfindet, gibt es im Franzis die Möglichkeit, ein Konzert oder eine Veranstaltung zu besuchen. Aus einem jugendlichen Blickwinkel schränkt es sich dann allerdings aber irgendwo auch schon ein.

Was in Wetzlar seit Jahren fehlt, sind zentrale Anlaufstellen für junge Leute. Woran liegt es denn, dass im Laufe der Jahre die Clubs und Diskotheken von der Bildfläche verschwunden sind?

Ich glaube, das hat leider auch etwas mit der immer geringer werdenden Nachfrage zu tun. Für die Besitzer lohnt es sich nur bei einer gewissen Auslastung, einen Club oder eine Diskothek zu betreiben. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die jungen Leute von heute nicht mehr so einen zentralen Anlaufpunkt annehmen, wie das vielleicht früher der Fall war. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, zu der ich selbst im jugendlichen Alter war, da gab es drei oder vier Diskotheken in Wetzlar, die es heute allesamt nicht mehr gibt. Irgendwann hat dann sogar nach fast 40 Jahren das Poco zugemacht (im Jahr 2014, Anm. d. Red.), was eigentlich unvorstellbar war.

Worauf ist denn die fehlende Nachfrage zurückzuführen? Liegt es ausschließlich an den Interessen der jungen Leute, die sich verändert haben?

Den einen Grund wird man da nicht finden, weil der würde es einem leicht machen, gegenzusteuern. Es sind meiner Meinung nach eine Vielzahl von Gründen. Das fängt aus Schulzeiten heraus an, weil man zum Beispiel über Nachmittagsunterricht eine ganz andere Belastung hat. Nicht nur in Vereinen hat sich zudem das Gesamtangebot vervielfältigt. Nehmen wir das Beispiel Fitnessstudios. Vor 40 Jahren gab es vielleicht ein Fitnessstudio in ganz Wetzlar. Heute ist das schon fast ein Massenphänomen, dass in Fitnessstudios genauso viele Leute Sport machen wie in organisierten Vereinen. Dann gibt es die Möglichkeit, Shishabars zu besuchen, die es früher auch nicht gab. Was darüber hinaus für mich einer der zentralen Punkte ist, ist die Aufhebung der Sperrzeit. Auch wenn es da Leute gibt, die das bestreiten werden.

Wie genau meinen Sie das?

Das Ausgehverhalten hat sich stark verändert. Heute ist es so, dass man eben erst um 23 Uhr oder sogar später weggehen möchte. Früher war üblicherweise um 1 Uhr in der Nacht aufgrund der Sperrzeit Schluss. Für die Betreiber ist es durch die deutlich längeren Öffnungszeiten schwieriger geworden, ihren Gästen ein passendes Angebot zu unterbreiten. Ein Angebot, dass es sich aus finanzieller Sicht trotzdem lohnt, den eigenen Laden zu öffnen.

In Wetzlar gibt es im Vergleich mit Gießen oder Marburg keine große Universität. Könnten die fehlenden Studenten ebenfalls ein Grund dafür sein, dass das Nachtleben in Wetzlar im Verhältnis sehr trist ist?

Das spielt durchaus eine Rolle, da bin ich mir sicher. Allerdings darf man diesen Aspekt auch nicht überschätzen. Auch in Gießen sind viele Clubs und Diskotheken, die es früher gab, heute nicht mehr existent. Gleiches gilt für Kneipen. Und das, obwohl sich die Anzahl der Studierenden im Vergleich zu früher verdoppelt hat.

Wie wird diese Entwicklung vonseiten der Stadt Wetzlar wahrgenommen? Schließlich ist es doch auch im Interesse der Behörde, jungen Leuten ein gutes Angebot zu unterbreiten, um sie langfristig in der Region zu halten…

Als Behörde gibt es immer das lachende und das weinende Auge. Denn es gibt kaum etwas, das konfliktbehafteter ist, als Diskotheken. Trotzdem ist es immer auch sehr schade, wenn sie wegbrechen. Denn eine Diskothek kann ein ständiger Anlaufpunkt sein, wo ich im Zweifel auch mal alleine hingehen kann, weil ich weiß, dass ich mindestens zehn Leute dort antreffe, die ich kenne. Angefangen hat das Phänomen des Clubsterbens bei uns in der Region Ende der 1970er Jahre, als die ersten Dorfdiskotheken ihren Betrieb eingestellt haben. Je näher sie an Wetzlar waren, desto eher haben sie geschlossen. Die letzten waren dann die beiden Diskotheken in Brandoberndorf. Irgendwann haben dann allerdings auch die großen Läden wie Fledermaus oder Freetime nachgezogen. Das ist schade und stimmt einen auch nachdenklich. Allerdings ist es für die Stadt unmöglich, ein Alternativangebot zu schaffen.

Im vergangenen Jahr wurde von der Stadt Wetzlar der Workshop »Kulturleitlinien« initiiert. Unter anderem ging es darum, wie eine vielfältige Kulturlandschaft gefördert und erweitert werden könnte. Welche Rolle hat dabei denn das Nachtleben eingenommen?

Leider war es sehr schwierig, junge Leute zu motivieren, bei dem Projekt mitzuarbeiten. Das wäre für uns sehr wichtig gewesen. Derjenige, der alleine zu Hause sitzt und sich nur ärgert, dass nichts stattfindet, der bringt uns nicht weiter. Von diesen Leuten müssten wir vielmehr die Wünsche kennen.

Inwiefern könnte denn die Stadt Wetzlar eingreifen, insofern das überhaupt gewollt ist?

Wir könnten eine vermittelnde Funktion einnehmen. Beispielsweise bei der behördlichen Unterstützung und der Vermittlung von festen Ansprechpartnern. Generell ist es natürlich in unserem Interesse, dass es wieder mehr Angebote in der Stadt mit Blick auf das Nachtleben gibt. Schließlich würden auch die Kneipen profitieren. Das gegenseitige Ergänzen wäre ein Gewinn für beide Seiten und würde dazu führen, dass sich die Frequenz insgesamt erhöhen würde.

Was hat sich denn für Clubbetreiber im Vergleich zu früher geändert? Beispielsweise bei den Rahmenbedingungen?

Die Anforderungen sind im Wesentlichen gleich geblieben. Was eindeutig zugenommen hat, ist die Sensibilität der Anwohner. Es gibt kaum mehr jemanden, der dazu bereit ist, so etwas wie einen Club oder eine Diskothek in seiner Nähe zu akzeptieren. Das Konfliktpotenzial hat sich diesbezüglich deutlich erhöht.

Glauben Sie, dass Wetzlar überhaupt ein geeigneter Standort ist?

Da bin ich mir sicher, denn Wetzlar hat ein großes Einzugsgebiet. Ohne es genau zu wissen, schätze ich, dass von unseren 55 000 Einwohnern mindestens 30 000 unter 40 Jahre alt sind. Insgesamt leben im Altkreis Wetzlar mehr als 100 000 Menschen.

Gibt es denn aktuell überhaupt Interessenten, die planen, in Wetzlar einen neuen Club aufzumachen?

Es ist sicherlich nicht so, dass da jede Woche jemand ankommt und sich danach erkundigt (lacht). In der Regel ist dafür aber die Stadtentwicklung zuständig. Klar ist aber spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie, dass es sich aktuell jeder lieber einmal mehr überlegt, bevor er einen neuen Club gründet, den er im schlechtesten Fall kurze Zeit später wieder schließen muss.

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n Wetzlar ist das Angebot an Clubs und Diskotheken, die regelmäßig ihre Türen öffnen, überschaubar. Die Stadt Wetzlar und ihr Kulturdezernent Jörg Kratkey hoffen, dass sich dies in Zukunft wieder ändern wird. Davon könnten auch die Kneipen profitieren. SYMBOL © Red

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