Bisher 140 Meldungen bei »Kein Täter werden«

Gießen (lhe). Rund ein Jahr nach dem Start eines Präventionsprojektes gegen Kindesmissbrauch berichten die Therapeuten von einer »kontinuierlichen Nachfrage«.
140 Personen hätten sich bislang gemeldet, 21 Männer seien in Therapie oder sollten diese im Frühjahr beginnen, sagte Projektleiter Prof. Johannes Kruse. Vor gut einem Jahr ist an der Gießener Uniklinik das Angebot »Kein Täter werden« angelaufen. Es richtet sich an Pädophile, die keine Straftaten begehen wollen. Die Patienten kommen Kruse zufolge aus allen Teilen der Gesellschaft. »Es sind auch Familienväter dabei, die sich in der Gefahr sehen, übergriffig zu werden und das nicht wollen.« Viele seien in Not und erleichtert, etwas unternehmen zu können. Das Angebot gibt es bundesweit zehnmal, Gießen ist der einzige Standort in Hessen.
In der Therapie sollen die Betroffenen lernen, mit ihren Neigungen so umzugehen, dass sie keinen sexuellen Missbrauch begehen oder Kinderpornos anschauen. Dazu gehöre unter anderem, sich in die potenziellen Opfer hineinzuversetzen, erklärte Kruse, der auch Direktor der Gießener Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie ist. »Schutz entsteht auch dadurch, wenn ich antizipieren kann, was das für andere bedeutet.«
Das Therapieangebot wurde 2005 an der Berliner Charité ins Leben gerufen und zu einem Präventionsnetzwerk ausgebaut. Teilnehmen können insbesondere Menschen mit pädophilen Neigungen, die keine Übergriffe begangen haben – aber auch solche, die dafür eine Strafe bereits verbüßt haben und sich weiterhin gefährdet sehen. Zur Zielgruppe gehören zudem Personen im »Dunkelfeld«, die also übergriffig geworden sind oder Kinderpornos konsumiert haben, ohne dass die Justiz davon Kenntnis bekommen hat. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet.
Eine erste Untersuchung ergab, dass bestimmte Risikofaktoren für einen Missbrauch gesenkt werden können, wie Jens Wagner, Sprecher des Präventionsnetzwerkes, berichtete. Beispielsweise habe die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen, erhöht werden können. Allerdings wurden Kinderpornos bei einem Teil der Probanden weiterhin genutzt. Die Erkenntnisse dienen demnach auch der Weiterentwicklung der Therapie.
Bei Opferberatungsstellen ist das Projekt nicht unumstritten. Die einen sehen darin einen wichtigen Beitrag der Prävention, andere halten die therapeutische Begleitung für zu gering.
Die Finanzierung des Angebots – die Therapie ist für die Betroffenen kostenlos – ist Kruse zufolge bis 2016 gesichert. Er hofft auf weitere Fördermittel auch danach. Betroffene können sich mittwochs von 16.30 bis 19.30 Uhr und donnerstags von 15 bis 18 Uhr unter der Nummer 06 41/98 54 51 11 melden. E-Mail: praevention@psycho.med.uni-giessen.de. (Foto: Schepp)