500 Besucher bei Kundgebung gegen Fremdenhass

Gießen (alb). Schätzungsweise 500 Menschen haben am Samstagmittag am Berliner Platz für ein buntes, weltoffenes Gießen demonstriert. Sie waren einem kurzfristigen Aufruf der Türkisch-Deutschen-Gesundheitsstiftung und der Türkisch-Islamischen Gemeinde Gießen (DITIB) gefolgt.
Das breite Bündnis gesellschaftlicher Geschlossenheit wurde von Vertretern aller großen politischen Parteien, verschiedener Migrantenorganisationen, der Jüdischen Gemeinde Gießen, des städtischen Katholischen Dekanats sowie der Evangelischen Dekanate Gießen und Kirchberg vervollständigt.
Nach dem Vorbild der vergangene Woche veranstalteten interreligiösen Mahnwache am Brandenburger Tor in Berlin sollte ein Zeichen gesetzt werden gegen religiösen Fanatismus, Fremdenhass und für ein friedliches multikulturelles Zusammenleben. Die Kundgebung, die auf einen Vorstoß des heimischen CDU-Politikers Gerhard Noeske zurückgeht und anfangs nicht nur Beifall unter den muslimischen Gruppen gefudnen hatte, richtete sich somit dezidiert gegen die Dresdner Pegida-Proteste und einen für den kommenden Sonntag angekündigten Marsch Gießener Sympathisanten. Dem Motto »Gießen bleibt bunt« entsprechend konnte man zahlreiche Plakate, Schilder und vielfarbige Friedensfahnen erblicken.
Unter den Rednern waren unter anderem Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD), der Staatsminister im Bundeskanzleramt Helge Braun (CDU), der Vizepräsident des Hessischen Landtages, Wolfgang Greilich (FDP) und der Gießener DITIB-Vorsitzende Adnan Uludag.
Gerhard Merz, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, deckte in seiner Ansprache ein weites thematisches Feld ab. Zum einen verurteilte er die Terroranschläge in Frankreich. Man werde nicht zulassen, dass die Täter Misstrauen und Hass in unserer Gesellschaft säten. »Ich bin kein religiöser Mensch, aber meine Achtung vor den Religionen ist groß. Ich mag nicht glauben, dass irgendein ein Gott möchte, dass so etwas in seinem Namen geschieht.« Im gleichen Atemzug kritisierte er aber auch die Instrumentalisierung der Anschläge durch rechte Bewegungen in Deutschland: »Emotionen dürfen nicht zu Vorurteilen führen.« Die Pegida-Demonstranten hätten »weder eine Ahnung von Europa noch vom Islam«, denn die europäische Kultur kann auf eine jahrhundertelange Geschichte mit zahllosen islamischen Einflüssen zurückblicken.
Entsetzen auch über Boko Haram
Im zweiten Teil seiner Rede erinnerte Merz auch an die im Dezember in der pakistanischen Stadt Peschawar ermordeten Kinder sowie an die Gräueltaten der Gruppe Boko Haram in Nigeria. Darüber kritisierte er die Verurteilung eines regierungskritischen Bloggers in Saudi-Arabien zu 1000 Peitschenhieben. Mit diesem Urteil stelle sich das Land – dessen politische Vertreter noch jüngst in Paris für Pressefreiheit demonstriert hätten – »auf eine moralische Stufe mit den Attentätern«.
»Wir müssen uns ernsthaft überlegen, warum junge Menschen diesen Rattenfängern auf den Leim gehen«, riet Dr. Christiane Schmahl in Hinblick auf die Radikalisierung junger Muslime. Die Hauptamtliche Kreisbeigeordnete von Bündnis 90/Die Grünen machte deutlich, dass religiöse Sinnsuche nicht zu Hass führen dürfe. Gleichzeitig wandte sie sich jedoch auch an die Einwanderer: »Sie und ihre Kinder müssen uns genauso viel wert sein wie jene, die schon immer hier leben.
« Schmahl wies nachdrücklich darauf hin, dass Demonstrationen dieser bunten Art zwar begrüßenswert seien. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ließe sich allerdings nicht durch Sonntagsreden erreichen, sondern nur durch Chancengleichheit für alle.
Viel Beifall brandete dann auf, als Lars Witteck die Bühne betrat. Der für seine klaren Worte bekannte Gießener Regierungspräsident legte als später Redner sein Manuskript beiseite – »Das wurde alles schon gesagt.« – und sprach frei. Unverblümt und emotional griff er die Pegida-Demonstranten an. »Wie blöd muss man eigentlich sein, zu glauben, dass diejenigen, die da vor dem Islamischen Staat und vor Unterdrückung fliehen, unsere Gesellschaft islamisieren wollen – etwas, vor dem sie gerade geflüchtet sind.« Zudem wies er auf Gießens jahrzehntelange Historie als Standort der Erstaufnahmestelle hin. In den Applaus hinein rief der CDU-Politiker zum Abschluss: »Ihr seid vielleicht völkisch, aber wir sind das Volk!«
Auch Uni-Präsident Joybrato Mukherjee nahm an der Veranstaltung teil. Er begrüßte diesen »Schulterschluss der Anständigen« und betonte die Relevanz eines weltoffenen Klimas für produktive Forschung und Wissenschaft im Dienste der Gesellschaft. Gießen hat ein starkes, vielstimmiges Zeichen gesetzt. Als ausgesprochen lesens- und bedenkenswert stufte Mukherjee die aktuelle Stellungnahme von Gießener Islam-Theologenzu Religion und Terrorismus ein.
Den musikalischen Ausklang steuerten die Gießener Samba-Trommler von Bloco Baiano bei.