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Alltagssituationen, Straßenszenen, explodierende Farben

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Wetzlar (emd). Der »entschleunigte Blick« auf mittelhessische Straßenszenen oder explodierende Farbansammlungen, skurril bearbeitete Fotografien oder mit goldenen Goetheportraits verzierte Tassen - die »Nacht der Galerien« bot am Freitagabend Gegensätzliches für den Kunstliebhaber vom Jugendlichen bis zum Greis. Im Rahmen der Wetzlarer Kulturtage zeigen die heimischen Künstler Dieter Mulch und Christian Minke sowie Bernd Zimmer (Polling) ihre Werke. Das Stadt- und Industriemuseum eröffnete die Ausstellung »Werther Porzellan«

Wetzlar (emd). Der »entschleunigte Blick« auf mittelhessische Straßenszenen oder explodierende Farbansammlungen, skurril bearbeitete Fotografien oder mit goldenen Goetheportraits verzierte Tassen - die »Nacht der Galerien« bot am Freitagabend Gegensätzliches für den Kunstliebhaber vom Jugendlichen bis zum Greis. Im Rahmen der Wetzlarer Kulturtage zeigen die heimischen Künstler Dieter Mulch und Christian Minke sowie Bernd Zimmer (Polling) ihre Werke. Das Stadt- und Industriemuseum eröffnete die Ausstellung »Werther Porzellan«.

»Das kenne ich doch«, dachte sich die Gießenerin, als sie ihren Blick auf die Eisenbahnunterführung in der Ludwigstraße oder die in der Frankfurter Straße lenkte. Letztere hängt im Schaufenster der »Galerie am Dom«. Anlässlich des 80. Geburtstages des heimischen Künstlers Dieter Mulch eröffnete die renommierte Galerie eine Ausstellung unveröffentlichter Werke aus den letzten zehn Jahren.

Mit einem »geübten Auge« für das Schöne im Banalen malt Dieter Mulch Alltagssituationen in Wetzlar, Gießen oder Frankfurt, oder an Urlaubsorten in Portugal. Museumsleiter a.D. Hartmut Schmidt sprach in den von Vernissagebesuchern zum Bersten gefüllten Galerieräumen vom »entschleunigten Blick« Mulchs, der seine Beobachtungen des Alltags innerlich »putzt, ordnet und dann vielleicht malt«.

Geputzt und geordnet präsentierte das Stadt- und Industriemuseum ebenso zum ersten Mal das »Werther-Porzellan«. Auf Meißener Zuckerdosen, Kaffee- oder Teetassen und filigranen Tellern leuchten Szenen aus Goethes berühmten Roman »Die Leiden des jungen Werther« oder Porträts vom Dichter und seiner angebeteten Lotte, einer Tochter aus dem Wetzlarer Hause Buff. Das 17-teilige Frühstücksgeschirr für zwei Personen diente der hohen Gesellschaft im 18. Jahrhundert zum Genuss der damaligen Luxusgetränke Kaffe, Tee und Schokolade und dokumentiere den »enormen Einfluss« von Goethes Erfolgsroman auf die Produktion der Meißener Porzellanmanufaktur. Das edle Geschirr biete neben Ästhetik gleichfalls zeitgenössische Wertevorstellungen. Dass Kunst immer wieder ein eigenwilliger Spiegel der Gesellschaft ist oder diesen ihr vorhält, beweist auch der 22-jährige Jungkünstler und Student der Sozialwissenschaft Christian Minke.

Mit einer Mischung aus Wut und Liebe bearbeitet er Fotografien oder äußert sich in naiven und skurrilen Malereien.

An den Wänden der gruftigen »Galeria Autonomica« hängen Nahaufnahmen von frustrierten oder kämpferischen Sprüchen Jugendlicher zum Thema radioaktive Strahlung oder dem Leben am Rande der Gesellschaft. Rote Herzen auf einsamen Schildern oder kindlich schräge Figuren lassen den Betrachter schmunzeln oder über einen möglichen tieferen Sinn grübeln. Er sei nicht klein und sein Herz sei nicht rein, erläuterte der hoch Gewachsene mit silbernem, verspieltem Ohrring rechts und schwarzer Dehnungsöse links. Tieferer Sinn in seinen Bildern? Sinn habe er im richtigen Leben genug, der Besucher solle seine Kunst einfach anschauen.

Sinn oder Unsinn - Bernd Zimmers großformatige Grafiken und Holzschnitte mit hauptsächlich reinen Grundfarben, die auf den Leinwänden irgendwie explodieren, sich als Spritzer wie Sterne positionieren oder in flachen Wüstenlandschaften gemächlich verteilen gehören zur »bedeutenden Gegenwartskunst«. Im Stadthaus am Dom und der Galerie des Wetzlarer Kunstvereins »Altes Rathaus« kann sich der Betrachter seine eigene Meinung bilden. Maler und Grafiker Christian Sämann führte am Freitag mit Linoleum, Farbe und Kunstpapier vor, wie ein »Schnitt« entsteht. Bei aller Kunst wirkte die handwerkliche und Hände-schmutzig-machende Arbeit entspannend.

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