Alle wollen eine Flatrate -aber welche?

Wiesbaden - Der Fahrgastverband Pro Bahn plädiert für ein dreistufiges Flatratemodell, der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) für eine 69-Euro-Monatsfahrkarte. Die hessischen Grünen schlagen ein 365-Euro-Ticket für Menschen mit niedrigem Einkommen vor - auf Kosten des Bunds, wie Fraktionschef Mathias Wagner betont.
Die Varianten sind zahlreich. Der Tenor ist einheitlich: Es muss ein Ersatz her für die Zeit nach August, wenn es kein 9-Euro-Ticket mehr gibt. Eine Anschlusslösung, die günstig ist und unkompliziert. Doch es gibt auch eine Gruppe, die dem Ende des dreimonatigen Angebots Positives abgewinnen kann: die Beschäftigten, die den Unmut der Fahrgäste über volle Zügen über sich ergehen lassen müssen. »Die Aggressivität der Fahrgäste nimmt seit Jahren zu und die Mitarbeiter sind oft der erste Blitzableiter«, sagt Rudolf Schultheis, Bezirksvorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft GDL. Fahrgastlobby, Verkehrsbranche, Sozialverbände - niemand stellt den Erfolg des dreimonatigen Sonderangebots grundsätzlich infrage. Auch nicht die Gewerkschaft. Doch mehr Vorlauf wäre besser gewesen statt eines »Schnellschusses«, mit dem die Ampelkoalition die von den hohen Energiepreisen gebeutelte Bevölkerung entlastet, sagt Schultheis. Auch das Timing sei suboptimal. »Wir sind in der Urlaubszeit, die Leute haben Freizeit.« Und eben mal einen zusätzlichen Wagen an den Regionalzug hängen sei nicht machbar.
Ferienzeit heißt zudem, dass es bei den mit Personal ohnehin nicht üppig ausgestatteten Verkehrsunternehmen noch mal enger wird. Selbst um Ersatzbusse zu lenken, fehlten Leute. Bei der Deutschen Bahn machen regelmäßig die Stellwerke von sich reden. Vor zwei Wochen etwa konnten wegen einer Krankmeldung keine Züge aus Friedberg oder Kassel Hanau erreichen. Es kam zu Ausfällen und Verspätungen. Kein Einzelfall, sagt Klaus Zecher von Pro Bahn Hessen: »Das sind Folgen einer verfehlten Personalpolitik.«
Nach Beobachtung von Pro Bahn hat das 9-Euro-Ticket neben dem günstigen Preis den großen Vorteil des grenzenlosen Reisens. »Der Tarifdschungel in Deutschland ist normalerweise eine große Hürde«, sagt Zecher. Der Landesverband schlägt als Nachfolgemodell eine dreistufige Flatrate vor, die sich an den individuellen Bedürfnissen ausrichtet: eine Regio-Variante, etwa für das Rhein-Main-Gebiet. Eine Bundesland-plus-Flatrate, die Hessen und zwei weitere Bundesländer umfasst. Und eine bundesweit in allen öffentlichen Nahverkehrsmitteln gültige Karte. Der Preis müsse für alle erschwinglich werden.
Von einem Einheitsangebot hält Pro Bahn nichts und erteilt damit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) eine Absage, der sich dem Vorschlag des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen nach einer bundesweit gültigen 69-Euro-Monatskarte anschließt. Nach einem Einbruch der Fahrgastzahlen von bis zu 70 Prozent in der Pandemie sieht der RMV sich wieder auf Erfolgskurs. »Mit dem 9-Euro-Ticket haben wir die Vor-Corona-Nachfrage so schnell wieder erreicht, wie es wohl niemand erwartet hat«, sagt Geschäftsführer Knut Ringat.
Das Experiment habe gezeigt, dass es mehr Schienen und zusätzlicher Fahrzeuge bedürfe. »Es liegt nun an der Politik, ein attraktives Nachfolgeangebot zu schaffen, das Streckennetz auszubauen und die Finanzierung eines leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehrs dauerhaft zu sichern.« Jutta Rippegather