Zwischen Trauer, Wut und Hoffnung

Gießen (jou). Bei der Lesung des Literarischen Zentrums am Mittwoch im Prototyp war zu spüren, dass es für Melanie Garanin eine Herzensangelegenheit war, die Graphic Novel »Nils. Von Tod und Wut und Mut« zu veröffentlichen. Darin verarbeitet sie den Verlust ihres vor sieben Jahren verstorbenen jüngsten Sohnes. Nils war an Leukämie erkrankt und starb an einem Behandlungsfehler.
Wie die in Berlin lebende Illustratorin, Kinderbuchautorin und Comiczeichnerin gegenüber dem Publikum unterstrich, hatte sie bei der Graphic Novel stärker als in früheren Werken künstlerisch freie Hand bei der Gestaltung. Insgesamt hebt sich von den dunklen Farben der Zeichnungen das leuchtende Gelb markant ab - für Garanin ist dies eine fröhliche Sternfarbe. Es ist ein Buch für Erwachsene, das diese auch gemeinsam mit Kindern lesen können.
In der zunächst präsentierten Szene beobachtet Nils gemeinsam mit seiner Mutter, wie die Gänse gen Süden fliegen. Für den denkbar größten Bruch sorgte die nächste Szene, in der die Mutter gemeinsam mit ihrem Pferd das Grab des Sohnes auf dem Friedhof besucht. Das Pferd ist nicht zufällig gewählt: Zum einen saß das dreijährige Kind gern darauf, zum anderen eigneten sich die Unpaarhufer gut zur Trauerarbeit, bemerkte die Autorin im Gespräch mit Moderatorin Tabea Knispel.
Im ersten Kapitel stellt Garanin sich und ihre Familie vor; drei weitere Kinder sind Arthur, Greta und Julius. Ins Auge fallen die leicht zugänglichen Aquarelle zu den kurzen Texten. Durch eine Blogger-Aktion kam Garanin dazu, einen Tag im Monat in Zeichnungen festzuhalten, berichtete sie zur Vorgeschichte des Buchs. Den Weblog führte sie über mehrere Jahre - dies sei wie eine Art Tagebuch gewesen. Die Zeit mit Nils sei voller Abenteuer und schöner Momente gewesen.
Umso größer ist die Trauer, als kurz nach seinem Tod sie und ihr Partner sich in den Armen liegen und versuchen wollen, nicht immer unglücklich zu sein. Dieses Bild ist für die Künstlerin bei aller Dramatik hoffnungsvoll.
Ein anderes Bild setzt einen heftigen Kontrast zwischen dem kleinen Haus der Familie und dem gewaltigen Gewitter, das sich als Zeichen einer höheren Macht deuten lässt. Durch solche übernatürlichen Phänomene ließe sich Kraft schöpfen, wenn man offen dafür sei, bemerkte die Autorin dazu. Doch müsse man irgendwann loslassen können.
Eine weitere Seite konfrontiert mit dem seelischen Schmerz der Kinder, die sich ihren Bruder zurückwünschen. Die Eltern wollen ihnen so lang nicht sagen, dass Nils an einem Behandlungsfehler gestorben ist, bis sie Klage gegen die Ärzte eingereicht und für Gerechtigkeit gesorgt haben.
Ursprünglich sei das Buch als Racheakt gedacht gewesen, stellte Garanin klar; die Arbeit daran half ihr - wie auch die Lesungen - aber auch, über den Verlust hinwegzukommen. Wie sie zum Schluss betonte, habe es viele Leute gegeben, die ihr die Trauer- bewältigung erleichterten; diesen Aspekt beleuchtet sie märchenhaft im Buch. Das Publikum zeigte sich berührt von der kunstvollen Umsetzung der tragischen Geschichte.