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Zwischen Demut und Größenwahn

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Von: Karola Schepp

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Sido - mit Fischerhut und Rauschebart - auf der Bühne des Gießener Kultursommers. © Red

Sido, der »Papa« des deutschen Gangster-Rap, sorgte beim Auftritt auf dem Schiffenberg für wippende »HipHop«-Arme, krasse Textzeilen und einige Turbulenzen - nicht nur im Fotograben.

Wer ein Konzert mit einem fast 20 Jahre alten Lied eröffnet, der ist nicht nur schon lange im Musikgeschäft, der ist auch davon überzeugt, damit die Fans noch immer packen zu können. Insofern war es keine wirkliche Überraschung, dass Rapper Sido bei seinem Auftritt im Gießener Kultursommer auf dem Schiffenberg zum Einstand in den Abend mit harten Beats und »amtlich krassen« Texten seinen Song »Fuffies im Club« präsentierte. Und tatsächlich: Im Publikum gingen prompt die »HipHop«-Arme in die Höhe, wurde sofort ordentlich abgefeiert, flogen wie im Club die Spielgeldscheine durch die Luft.

Sido - mit grauem Rauschebart, Fischerhut und hochgezogenen Tennissocken optisch zumindest gewöhnungsbedürftig - hatte die knapp 5000 Fans von der ersten Sekunde an im Griff. Ebenso wie seine schwarze Sweathose, die er regelmäßig mit einem beherzten Zupacken in den Schritt zu sichern schien. Bei seinem Auftritt »zwischen Demut und Größenwahn« bot er für die jungen Zahnspangenträger auf dem ausverkauften Schiffenberg, aber auch die älteren Rauschebartträger und Rap-Fans der härteren Gangart gleichermaßen ein wirklich sensationell gutes Partykonzert. Erstere bekamen bei Hits wie »Astronaut« mit Luftschlangen-Konfetti oder Ohrwürmern wie »Tausend Tattoos« oder »Mit Dir« glänzende Augen. Die anderen konnten es kaum erwarten, bis endlich Songs unter der Gürtellinie wie »Carmen« oder der tatsächlich indiskutable »Arschficksong« erklangen.

Seine Straßenjungenherkunft pflegte Sido mit Songs wie »Löwenzahn«, suhlte sich mit erkennbarem Vergnügen in seinem Image als »Schlechtes Vorbild« oder feierte »Mein Block« ab. Sido verkörpert eben tatsächlich all das, »wovor deine Eltern dich immer gewarnt haben« und war sicher schon öfter »high« als ihm guttut. Als ihm auf der Bühne der Duft eines Joints in die Nase wehte, konnte er es nicht lassen, schnorrte sich »die Tüte« von einem Fan - und verteilte im Gegenzug Wodka aus der gläsernen »Zauberkugel« in den vorderen Publikumsreihen.

Bordsteinphilosoph im Kiffernebel

Doch es gibt eben auch den anderen Sido, den Vater, der vom Nachwuchs »1000 Fragen« gestellt bekommt und im Kiffernebel zum Bordsteinphilosophen wird. Er appelliert »Augen auf«, wenn das Kind an die Drogen verloren zu gehen droht, oder offenbart bei »Der Himmel soll warten« oder »Testament« hinter dröhnenden Beats Melancholie.

Dass der 1980 in Ost-Berlin als Sohn einer Sintezza unter dem bürgerlichen Namen Paul Würdig geborene Sido genug im Leben erlebt hat, das ihm auch viele unschöne »Bilder im Kopf« hinterlassen hat und das Leben als permanente Achterbahnfahrt kennt, ist unverkennbar. »Du musst auf dein Herz hör’n, hör wie es schlägt, wie es fleht, wie es schreit« textet er, während die Bässe wummern und rotes Licht im Herzschlagtakt aufflammt. Und er ermahnt sein Publikum: »Hört besonders gut zu. Das ist mir wichtig«. Da ist der Abend - mit DJ-Pult, Sängerin und Sänger im Background - fast schon pädagogisch wertvoll.

Aber eben nur fast, denn es gibt auch die dunkle Seite des Sido. Die Seite, die Spaß daran hat, gegen Konventionen anzustürmen und mit schonungsloser Ehrlichkeit sein Gegenüber vor den Kopf zu stoßen. Das erleben nicht nur die Fotografen, die erst kurz vor der Show erfahren, dass sie ihn entgegen der vorherigen Absprachen nun aus einer Laune heraus erst ganz am Ende des Konzerts fotografieren dürfen. Das erleben auch diejenigen, die sich von eingängig harmlosen Songs wie »Astronaut« oder »Liebe« vielleicht haben einlullen lassen. Wer beim Text über die Prostituierte »Carmen« genau hinhört oder den frauenfeindlichen »Arschficksong« erlebt, der auf vielfachen Wunsch einiger Fans zum bejubelten Rausschmeißer des Abends wird, der fragt sich, warum aktuell über eher harmlose Bierzeltsongs wie »Leyla« diskutiert wird. Sido hat eindeutig Heftigeres zu bieten - und präsentiert es mit kehligem Lachen. Provokation gelungen und das Image als böser Gangster-Rapper gepflegt. Da muss der Hamburger Rapper Tom Hengst, der als Support das Publikum zuvor mit »Biertornado« anheizen wollte, angesichts der »Legende« Sido noch eine Schippe drauflegen.

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