Zu wenig und zu spät

Gießen (pm/mö). Die Fraktion Gießener Linke hatte nicht mit Selbstlob gespart, nachdem das Stadtparlament im Dezember den von Sozialdezernent Francesco Arman (Gießener Linke) beantragten Härtefallfonds für einkommensschwache Haushalte, die besonders unter den Energiepreissteigerungen leiden, auf den Weg brachte. Bis zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2026 wird die Stadt dem Fonds jährlich 120 000 Euro zur Verfügung stellen.
An der finanziellen Ausstattung und am Timing des Magistrats gibt es aber nach wie vor Kritik. Als »grundsätzlich richtig« lobt der Gießener Mieterverein den Beschluss, stellt aber fest: »Er kommt sehr spät und das Volumen des Fonds ist nicht ausreichend.« Vereinssprecher Stefan Kaisers verweist auf die von Arman genannte Zahl von 450 verhängten Stromsperren im Jahr 2021. Damit ergebe sich pro Haushalt eine Auszahlung von 264 Euro. Kaisers: »Die aktuelle Strompreiserhöhung der Stadtwerke alleine macht aber schon 400 Euro pro Haushalt aus. Daran wird erkennbar, dass die Ausstattung des Fonds bei Weitem nicht ausreichen wird.«
Wer kann von Fonds profitieren?
Denn Haushaltsstrom sei für die Bezieher von Bürgergeld grundsätzlich in der Regelleistung enthalten. Dies gelte sowohl für die laufenden monatlichen Abschläge als auch für eventuell auftretende Nachzahlungen. Hierfür müsse der Leistungsempfänger aus der monatlichen Regelleistung einen Betrag ansparen. »Es gibt hier in keinem Fall die Möglichkeit, dass die Kosten vom Jobcenter als Zuschuss übernommen werden«, erläutert Kaisers. Für Bezieher laufender Bürgergeldleistungen sei die Gewährung eines Darlehens möglich - das sei dann im Einzelfall zu prüfen. Anders sehe es für Nichtleistungsbezieher also Geringverdienende aus. Hier gebe es keine Möglichkeit für das Jobcenter, darlehensweise Hilfe zu leisten. Es sei also der Personenkreis aus den Haushalten mit niedrigen Einkommen, etwa die Bezieher von Mindestlohn, für die eine Inanspruchnahme des Notfallfonds in Betracht kommen könnte.
Als problematisch sieht es der Mieterverein, dass es allein aufgrund der umfangreichen Vorbereitungen in der laufenden Heizperiode mit Sicherheit nicht zu ersten Auszahlungen aus dem Fonds kommt. Wenn die Stadt indes Stromabschaltungen in den nächsten Monaten vermeiden wolle, was ja das Ziel des Notfallfonds sei, müsse es die Auszahlung zeitnah geben. Kaisers: »Das darf nicht erst Ende 2023 kommen, bis sich die Stadt bequemt hat, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, um Energieschulden und Stromsperren vorzubeugen und die geplante Kommission eine Richtlinie entwickelt hat, die über die einmalige Zuwendungen entscheiden soll.«
Der Mieterverein regt daher an, dass ein Gremium aus Vertretern von Stadtverwaltung, Stadtwerken, Jobcenter, Schuldner- und Verbraucherberatung zügig zusammentritt und sich unbürokratisch mit den Regeln für die Auszahlung von Fondsmittel befasst. Haushalte mit geringem Einkommen sollten sich bei Androhung einer Sperrung des Stroms oder der Heizenergie sofort an das Bürgerbüro beziehungsweise sofort an das Jobcenter oder die Schuldner- und Insolvenzberatung wenden. Dort werde geprüft, ob es sich um einen sogenannten Härtefall handelt, für den der Fonds zur Verfügung stehe. Bei Vorliegen eines Härtefalls werde eine Vergleichsvereinbarung mit den Stadtwerken Gießen (SWG) geschlossen.
SWG finanziell beteiligen
Einen finanziellen Beitrag leisteten dann auch die SWG, die auf einen Anteil ihrer Forderungen verzichten. »Den Rest tragen der Härtefallfonds sowie die Bürger selbst«, schlägt der Mieterverein vor und verweist auf Städte, die weiter seien: »In München wird der großzügig ausgestattete Härtefallfonds von der Stadt und den Wohlfahrtsverbänden getragen. In Bremen gibt es einen solchen Fonds seit Ende 2020, um die Belastungen aus der Corona-Zeit abzufangen. Und Hannover verfügt schon seit zehn Jahren über den enercity-Härtefonds e. V., der vom lokalen Versorger getragen wird. In Gießen sollten also auch die Stadtwerke mit ins Boot für den Härtefallfonds geholt werden.«
Einen Antrag der fraktionslosen Stadtverordneten Martina Lennartz (DKP), den Fonds mit den 2,5 Millionen Euro auszustatten, den die Stadtwerke zuletzt an den Stadthaushalt als Gewinn ausgeschüttet hatten, hatte das Stadtparlament mit großer Mehrheit abgelehnt.