Zahl der Obdachlosen unbekannt

Gießen (mö). Mit Beginn der kalten Jahreszeit rückt regelmäßig die Lage obdachloser Menschen in den Fokus. Wie viele Personen in Gießen tatsächlich auf der Straße leben, ist allerdings nicht bekannt. Eine statistische Erfassung dieser Personengruppe sei »kaum möglich«, hat der ehrenamtliche Sozialdezernent Francesco Arman (Gießener Linke) jetzt auf Anfrage der FDP-Stadtverordnetenfraktion erklärt.
Arman erläutert in seiner Stellungnahme, dass bei der Wohnungslosenhilfe zwischen Menschen, die in Gemeinschafts- bzw. Notunterkünften untergebracht seien, und Obdachlosen, die auf der Straße lebten, unterschieden werde. Wohnungslose Personen habe es in Gießen zum Stichtag Ende Januar dieses Jahres, an dem das statistische Bundesamt erstmals eine Erhebung durchgeführt habe, 113 gegeben. Die Unterbringung dieser Menschen erfolge durch die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe verschiedener Träger und in einigen Fällen in Pensionen.
Auf die Frage der FDP-Stadtverordneten Manuela Giorgis, inwieweit bei Obdachlosen der Wunsch nach einem festen Wohnsitz besteht, antwortete Arman: »Es ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Obdachlosen und der Wohnungslosen den Wunsch nach einer eigenen Wohnung hat.«
Die Änderung der Lebensumstände erfordere aber eine Begleitung durch Sozialarbeiter. In Gießen geschehe dies seit einigen Jahren im Rahmen des Projekts Housing First. Betrieben wird Housing First in einem Kooperationsverbund von Diakonischem Werk, der Wohnbau sowie Stadt und Landkreis. Arman: »Hier wird obdachlosen Menschen ohne weitere Vorbedingungen eine Wohnung vermittelt.« Die Kontaktaufnahme und der Beziehungsaufbau zu den betroffenen Personen erfolge durch die Straßensozialarbeit, die vor, während und insbesondere nach dem Einzug den Menschen nach Bedarf zur Seite stehe, um eine Stabilisierung der Lebenssituation zu erreichen. Das mit EU-Geldern finanzierte Projekt bestehe seit sieben Jahren und weise »sehr gute Erfolge« auf. Für das kommende Jahr kündigte Arman eine »Teilverstetigung« von Housing First mit Unterstützung durch Stadt und Landkreis Gießen an.
Die Unterbringung von Obdachlosen erfolgt laut Stadtrat Arman über den Wohnungsmarkt, sowohl in öffentlich geförderten als auch in frei finanzierten Wohnungen. In der Gießener Vergaberichtlinie für Sozialwohnungen würden die Einstufungen »wohnungs-/obdachlos« und »von Wohnungslosigkeit bedroht« erfasst und berücksichtigt.
Zuletzt hatte es um die Jahreswende 2020/21 in Gießen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine Debatte über die Lage wohnungsloser Menschen gegeben. Die Stadt wehrte sich gegen Vorwürfe unter anderem der damaligen Linksfraktion im Stadtparlament, sie tue zu wenig für diese Menschen. Auch die Träger der Wohnungslosenhilfe widersprachen Darstellungen, wonach es in der Stadt nicht genug Übernachtungsplätze gebe. Das Diakonische Werk schätzte die Zahl der Wohnungs- und Obachlosen damals auf zusammen rund 200.