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»You’ve been wonderful!«

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Von: Marc Schäfer

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Das Plakat zum Konzert hängt heute in einem Gießener Wohnzimmer. © Red

Die Nachricht vom Tod Tina Turners hat am Mittwoch auch viele Gießener betroffen gemacht - und einige an einen großen Auftritt des Weltstars im Waldstadion an der Grünberger Straße erinnert. Kaum zu glauben: 28 000 Besucher verfolgten 1987 das Open-Air-Konzert im Stadion des VfB 1900. Tina Turner hatte zuvor mit »Private Dancer« ein fulminantes Comeback hingelegt.

Tina Turner »turnte«, rockte und röhrte, und Tausende tobten. Fast pünktlich um 20.30 Uhr erschien der Superstar auf der Bühne. Das Gedränge um ein winziges Rasenfleckchen, die unsanften Hiebe der Nachbarn und vor allem der kühle Wind waren völlig unwichtig geworden. Wichtig war nun nur noch, dass sie gekommen war. Bis zuletzt hatten selbst die größten Optimisten Zweifel gehegt, waren Gerüchte kursiert, die Rocklady lasse ihre Fans bei ihrem vorläufig letzten Europa-Konzert im Stich. Selbst sichere Indizien wie Plakatfluten in der Stadt, Riesenfahnen an den Tribünen oder der bombastische Bühnenaufbau konnten ein Rest-Misstrauen nicht ausräumen. Aber Tina Turner, in den vergangenen Monaten mit euphorischen Superlativen beschrieben, war da. Und sie war die absolute Nummer eins beim 5. Gießener Open-Air-Festival im VfB-Stadion.

Mit diesen Sätzen begann damals die Berichterstattung dieser Zeitung über das Open-Air-Konzert am Sonntag, 26. Juli 1987, im Waldstadion. 80 000 Watt aus den Boxen, eine 30 Meter breite und 14 Meter hohe Bühne und 28 000 Zuschauer auf dem Rasen und den Tribünen. Schon im Vorfeld war alles auf den Superstar ausgelegt: »Einlass: 12 Uhr. Auftakt: 14 Uhr. Tina: 20.30 Uhr« lautete eine Überschrift in der GAZ.

Bleibende Erinnerungen

Tina Turner war eine der erfolgreichsten Rock-Musikerinnen überhaupt. Sie füllte über Jahrzehnte weltweit Konzerthallen und Stadien, hatte einen Welthit nach dem anderen. Simply The Best! Unverwechselbar war ihre rauchige Soul-Stimme, ihre unglaubliche Energie und die oft so positive Ausstrahlung. In dieser Woche ist die unangefochtene »Queen of Rock« nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren in ihrer Wahlheimat Küsnacht in der Schweiz gestorben. Diese Nachricht hat auch in Gießen viele Menschen betroffen gemacht, einige erinnern sich gerne an den Auftritt der Musikerin im Waldstadion. Während dieses Gastspiel in dem von Höhen und Tiefen so reichen Leben des Superstars nicht mal eine Randnotiz ist, wird es den Besuchern ewig in Erinnerung bleiben.

»Das war sensationell damals. Ein geiles Konzert und eine super Stimmung«, schreibt Anett Rönnig in den sozialen Netzwerken. Peter Hanker, heute Vorstandssprecher der Volksbank Mittelhessen, damals BWL-Student an der Fachhochschule, erinnert sich an einen warmen Sonntag. »Ich bin mit Freunden die Grünberger Straße hochgelaufen. Wir mussten stehen, aber es war nicht gepresst voll. Die Feuerwehr besprühte die Leute mit Wasser. Auf dem Rückweg in die Stadt fuhr Tina Turner am Ludwigsplatz hinten sitzend in einem großen BMW an uns vorbei.«

An das Konzert selbst hat Hanker kaum Erinnerungen. Mit dem Album »Privat Dancer« war Turner 1984 ein triumphales Comeback gelungen. 1985 räumte sie bei den Grammy Awards vier Preise ab und stand mit Mick Jagger beim Live-Aid-Konzert in Philadelphia auf der Bühne. Nach ihrer »Private Dancer«-World Tour 1984/85 ging die Künstlerin ein Jahr später mit »Break Every Rule« erneut auf eine nun fast einjährige Welttournee mit 32 Auftritten in Deutschland. Allein in Frankfurt spielte Turner damals fünf Konzerte in fünf Tagen und verkaufte fast 70 000 Karten. Eine solch rege Konzertnachfrage hatten damals weder eine Band noch ein Solist in der Main-Metropole auslösen können, hieß es damals.

Tina Turner war also keineswegs als Ladenhüter ins Waldstadion gekommen. Ganz im Gegenteil. Sie war ein Mega-Star und wurde dementsprechend hofiert.

In der Limousine vor die Bühne

Ihre Umkleidekabine mit drei Containern mit Toilette, Fernseher und mehr waren hermetisch abgeriegelt. Es wurde eigens für sie gekocht und fernab von anderen Musikern gegessen. Diverse Garderoben zum mehrmaligen Umkleiden standen parat. Mit ihrer Limousine wurde die Rocklady sogar die letzten 30 Meter von der Umkleide an die Bühnentreppe chauffiert und musste - begleitet von ihrem Chef-Bodyguard - nur noch die Treppen hinaufsteigen. Selbst showgewohnte Mitglieder anderer Bands konnten diesem Treiben nur ein Schmunzeln abringen. Hinter der Bühne wurde sie kaum gesehen, nur das hektische Treiben um die grüne Trennwand und die Bodyguards ließen ihre Anwesenheit vermuten. Nach 90 Minuten Auftritt, drei Zugaben und an das Publikum ausgesprochenem »You’ve been wonderful!« saß Tina Turner wieder in ihrem an der letzten Treppenstufe wartenden Auto.

Welthits live performt

Norbert Schmidt, der langjährige GAZ-Ressortleiter, gehörte damals zum Reporterteam, das den Auftritt journalistisch begleitete: »Sie war zumindest beim Ü30-Publikum besser bekannt von ihrer ersten Karriere an der Seite ihres weniger gut beleumundeten Mannes Ike, von Erfolgshits wie ›Proud Mary‹ (1970) und ›Nutbush City Limits‹ (1973), hatte 1984 mit ›Private Dancer‹ aber ein weltweit für Furore sorgendes Comeback hingelegt, wie es nur wenige gab im internationalen Showbusiness. Jetzt also sollte diese mit fulminanter Gesangsröhre ausgestattete und mit körperlichen Reizen nicht geizende Lady nach Gießen kommen? Sollten im Waldstadion aktuelle Welthits wie ›What’s Love Got to Do with It‹ oder ›We Don’t Need Another Hero‹ live von ihr erklingen? Über Wochen bestimmte im Frühjahr eine Frage das Stadtgeschehen: Kommt sie wirklich? Kurzfristig war der Termin verschoben worden, um den Abstecher an die Lahn zwischen zwei größere Events packen zu können. Am Ende war alles in Butter, lieferte die damals 48-Jährige mit der Löwenmähne Weltklasse ab, inklusive all ihrer großen Hits. Um 18.50 Uhr, so notierten wir Berichterstatter damals, war sie mit ihrer Limousine in den Backstage-Bereich eingerollt. Um 22.10 Uhr hatte sie sich verabschiedet. Alles nur noch Erinnerung an ein außergewöhnliches Kapitel Gießen.«

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28 000 Menschen verfolgen 1987 den Auftritt von Tina Turner im Waldstadion. © Red

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