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Markante alte Caltex-Tankstelle in Gießen wird zu Wohnhaus umgebaut

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Von: Marc Schäfer

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Weckt Kreativität in Architekten: Die alte Caltex-Tankstelle in Gießen.
Weckt Kreativität in Architekten: Die alte Caltex-Tankstelle in Gießen. © Red

Fast jeder Gießener ist wohl schon einmal an ihr vorbeigefahren. Jetzt wird die Ex-Tankstelle mit dem auffälligen Dach in der Frankfurter Straße einer neuen Nutzung zugeführt.

Gießen - An das große deutsche Wirtschaftswunder erinnert in der Frankfurter Straße 352 in Gießen heute gar nichts mehr. Die ehemalige Caltex-Tankstelle steht leer, seit sie der letzte Autoschrauber im März verlassen hat. Der Putz blättert ab, der Asphalt bröckelt, die großen Türen zur früheren Marfak-Wagenpflegehalle rosten langsam vor sich hin. Doch immerhin ist die Zukunft des unter Denkmalschutz stehenden Tankwarthäuschens mit dem auffälligen Dach und der daran angrenzenden Wagenhalle jetzt gesichert. Der Gießener Architekt Michael Jung und sein Ehemann Dr. Waldemar Petker-Jung bauen es zu einem Wohnhaus um und versetzen die baugeschichtlich und künstlerisch signifikanten Stellen des Objekts wieder in den Originalzustand zurück.

In den 1950er Jahren stand die Tankstelle in Kleinlinden für den Aufschwung im Nachkriegsdeutschland. Dieser zeigte sich damals auch am immer dichter werdenden Tankstellennetz. Mineralölkonzerne witterten gute Geschäfte und übertrafen sich beim Bau neuer Stationen, gerne an Einfall-straßen der im Wiederaufbau befindlichen Städte. Im Jahre 1956 drängte im US-Konzern California Texas Oil Company, kurz Caltex, ein weiterer Konkurrent auf den Markt, der schon bald mehr als 800 Tankstellen betrieb. 1957 eröffnete das Unternehmen den Standort in Gießen-Kleinlinden.

Caltex-Tankstelle in Gießen ist die einzige ihrer Art, die die Zeit überdauert hat

Für Caltex waren damals drei Dinge wichtig: Schnelligkeit bei der Expansion und als Neuling auf dem deutschen Markt Wiedererkennungswert und Alleinstellungsmerkmal. Dies erreichte man durch die Verwendung von standardisierten Typentankstellen, die der Frankfurter Architekt Willy H. Weisensee für das Unternehmen entwarf. Sie bestehen aus einer elegant geschwungenen, weit auskragenden Dachkonstruktion mit einem integrierten Tankwarthaus. In der Denkmaltopografie des Landes Hessen steht dazu: »Die Tankstelle spiegelt die wirtschaftliche und verkehrstechnische Entwicklung der 50er wider und ist Kulturdenkmal.« Weisensees Entwurf galt damals als gewagt und futuristisch. Ein solches etwa 13 Meter langes frei- tragendes Betondach hatte man in Deutschland noch nicht gesehen.

Von den mehr als 800 Stationen hat im ganzen Land nur ein gutes Dutzend die Zeit überdauert. Die Tankstelle an der Frankfurter Straße ist in Gießen die einzige erhaltene ihrer Art. Optional war damals eine Wagenhalle, die links oder rechts angebaut werden konnte. In Kleinlinden steht die Halle rechts. Sie diente zunächst der Wagenpflege. Von anderen Betreibern des Standorts wurde der große weiß geflieste Raum später als Autowerkstatt genutzt. Bald wird er zur Küche umgebaut.

Spannende Visualisierung: So soll die Ex-Tankstelle als Wohnhaus aussehen.
Spannende Visualisierung: So soll die Ex-Tankstelle als Wohnhaus aussehen. © Red

Acht, neun Jahre sei es jetzt her, dass Jung die Tankstelle zum ersten Mal aufgefallen sei. »Ich habe beim Vorbeifahren eine Vollbremsung gemacht«, erzählt der Gießener, der bereits das alte Bahnwärterhäuschen im Gartfeld in der Nordstadt und eine alte Schreinerei im Schiffenberger Weg unter Denkmal-Aspekten zu neuem Leben erweckt hat. Das Feuer war entfacht, doch es folgte ein langer Prozess. Bis Tankstelle und Grundstück, das beides unterschiedlichen Personen gehörte, in seinen Händen waren, musste aufgrund der Besitzverhältnisse sogar der große Mineralölkonzern Shell dem Verkauf an Jung zustimmen. »Und das hat gedauert«, erzählt er.

Wohnhausprojekt in Gießen: Die Wagenhalle wird zur Küche

In der Zwischenzeit lief die Recherche. Jung hörte Anekdoten darüber, dass der Verkaufsraum der Tankstelle damals öfter einer Kneipe glich. Er fand Dokumente, aus denen er nach und nach die Geschichte des Areals zusammensetze. Auf Caltex folgte Chevron, dann übernahm Auto Schach und später private Automechaniker den Standort, der 1989 mit einer zweiten Halle erweitert wurde. Im Hintergrund arbeiteten Jung und sein Ehemann am Entwurf für ihren Wohn-Traum, der zwar modernes und großzügiges Wohnen ermöglichen, aber dem Denkmal auf jeden Fall die Bühne überlassen sollte.

Um das zu realisieren, wird der neue Teil des Wohnhauses optisch eine auf die andere Seite des Daches gespiegelte moderne Interpretation des Alten. Zum Teil verwenden die Bauherren verspiegeltes Glas, um den Neubau gegenüber dem Denkmal verschwinden zu lassen. »Der Bestand bleibt fast unverändert. Er wird energetisch und technisch auf den neusten Stand gebracht«, betont Jung. Auch die Fliesen der Wagenhalle bleiben und werden zu Küchenfliesen. Die Kücheninsel wird in Form, Standort und Maß symbolisch an Fahrzeuge erinnern, die früher an dieser Stelle aufbereitet wurden. Da Jung auch die Fenster zur angebauten Halle erhalten will, weil sie im Original die Außenfenster waren, wird es in der Küche keine Hochschränke geben. »Wenn man ein Denkmal bewohnen will, muss man sich dem Gebäude an manchen Stellen unterwerfen. Es gibt eben Dinge, die das Denkmal vorgibt.«

Bilder aus einer anderen Ära: Die Caltex-Tankstelle in Gießen.
Bilder aus einer anderen Ära: Die Caltex-Tankstelle in Gießen. © Red

Tankstellen-Umbau in Gießen: „Es soll ein Schaufenster in die Vergangenheit werden“

Dazu gehört auch die weiß-grüne Farbgebung im Caltex-Stil, die Jung mit einem Bauhistoriker und dem Amt für Denkmalschutz wiederentdeckt hat. Sie wird wie im Original an den aufbereiteten Türen zur Wagenhalle, am Sockel und am Gesims aufgegriffen. Selbst der Caltex-Stern, das Logo des Konzerns, wird wieder zurückkehren. Ein Höhepunkt in Jungs Entwurf ist das Tankwarthäuschen. Dort soll ein Büro entstehen, das stark an den alten Verkaufsraum angelehnt ist.

»Es soll ein Schaufenster in die Vergangenheit werden«, sagt er. Damit das Denkmal auch zukünftig von vorbeifahrenden Liebhabern bestaunt werden kann, wird die Grundstücksbegrenzung zum kleinen Teil aus Gitterstäben bestehen. Von dort hat man einen Blick auf den früheren Standort der Zapfsäule, wo eine E-Tankstelle stehen wird. Auch das ist eine moderne Interpretation. (Marc Schäfer)

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