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»Wo geht die Party ab?«

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Von: Axel Cordes

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Jan Delay ist ständig in Bewegung und bindet das nach langer Konzertabstinenz feierwillige Publikum ein. © Axel Cordes

Zwölf Jahre nach der schweißtreibenden Show in der Hessenhalle brachten Disko No. 1 und Jan Delay nun auch den Gießener Hausberg in Wallung - und das lag nicht an der x-ten Hitzewelle, sondern am heißen Mix aus Soul, Funk, House, Reggae und Rock, den die elfköpfige Band fast zwei Stunden lang auf die gut 3000 Fans abfeuerte.

Die Rahmenbedingungen waren ideal: Busshuttle und Einlass stressfrei, kulinarisches Angebot vielfältig und gut verteilt, Schatten unter den Kastanien - wo auch eine zusätzliche Videowand für diejenigen aufgestellt war, die sich nicht ins Getümmel vor der Bühne stürzen wollten.

Rapper Shogoon aus Minden stimmte die Fans mit einem halbstündigen Deutschrap-Set auf das Hauptereignis ein. Als es dunkel wurde, legten dann Jan Delay (der heute 46 wird) und seine zehn Mitmusiker los. »Ja, es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein«, heißt es im »Intro«, und »mit ’nem Bass und ’nem Groove« löst er das Versprechen »Alles wird gut« von Beginn an ohne Rücksicht auf Verluste ein. Das Jackett fällt schon nach dem zweiten Song, und die Schweißflecken auf dem T-Shirt breiten sich ruckzuck aus. Delay ist ständig in Bewegung und bindet das nach langer Konzertabstinenz feierwillige Publikum ein: Er kündigt eine »extradicke Familienpackung Spaß« an und animiert zum »konsequenten Zusammentanzen«. Dennoch ist »Spaß« - wie viele Delay-Songs - ein ernsthaftes Lied, in dem sich Spaß auf Hass reimt und das den politisch Überkorrekten ein Dorn im Auge sein müsste: »Denn ob Champagner oder Ganja oder Traumstrand - fast alle schönen Dinge kommen aus dem Ausland.« Natürlich betreibt Delay kulturelle Aneignung in ihrer schönsten Form: Fast alle Texte sind auf Deutsch verfasst, aber es wird »gedanced« statt »getanzt«, die Rhythmen heißen »Grooves« und basieren alle auf schwarzer Musik: Soul, Funk, Reggae - und auch Rockmusik soll ja ihre Wurzeln in den Worksongs der afrikanischen Sklaven auf den Baumwollfeldern haben. Welch ein Glück, dass kein Musiker Dreadlocks trägt.

Musikalische Patchworkdecke

So kann die musikalische Patchworkdecke weiter die Fans begeistern, die die eingearbeiteten Stile genauso lieben wie der gebürtige Hamburger auf der Bühne. »Türlich, türlich« ist ein Cover eines Hits von Das Bo, gleichzeitig aber auch eine deutsche Version von »Word Up« (Cameo, irgendwann in den 80ern), Nenas »Irgendwie, irgendwo, irgendwann« erklingt als lupenreiner Reggae. Nach 30 Minuten kündigt Delay an, ab jetzt gehe es bergab, aber natürlich ist das Gegenteil der Fall. Mit dem fast countrymäßigen »Zurück« und dem 2009er-Hit »Disko« folgen die nächsten Knaller ohne Pause. Die drei Bläser und die drei Chorsängerinnen tanzen gemeinsam am Bühnenrand mit Delay in der Mitte. In »Saxophon« startet Tenorist Lieven »Las Vegas« Brunckhorst eine Reise durch berühmte Saxsoli der 70er (»Baker Street«) und 80er, und in »Action« hat Gitarrist Hanno Busch, der ansonsten meist präzise Rhythmuslicks spielt, eines seiner wenigen Soli. Die toll eingespielte Band hält die Spannung scheinbar mühelos auf höchstem Niveau. Der Versuch, das Konzert nach 75 Minuten zu beenden, scheitert glorreich. In 35 Minuten Zugaben gibt es noch »Eule« mit der Refrainzeile »Dann is‹ Showtime«, ein House-Medley, das soulig-ruhige »Hoffnung« und die Hymne »St. Pauli«, bei deren Ankündigung Delay ganz unbekümmert seinen Werder-Schal trägt.

Ganz großes Kino mit genialem Soundtrack! Axel Cordes

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