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»Wir wollen Bürger befähigen«

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Von: Marc Schäfer

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Jan Schmirmund will die Stadt Gießen mit seinem Ideenfestival ein Stück lebenswerter machen. FOTO: MAC © Oliver Schepp

Jan Schmirmund hat sich eine ganz besondere Idee erdacht, um seine Heimatstadt Gießen ein Stück besser zu machen. Ende Juni veranstaltet er am Alten Schlachthof den ersten Gießener Tomorrathon. In elf konkreten Herausforderungen will er die Teilnehmer dazu befähigen, eigene Ideen zu ersinnen und vor allen Dingen auch direkt umzusetzen.

Herr Schmirmund, was ist ein Tomorrathon?

Das Wort Tomorrathon ist ein Kofferwort aus Tomorrow und Hackathon, also morgen und Hackathon. Hackathon selbst ist ein Kunstwort. Der Hackathon kommt aus der Software-Entwicklung. Es geht darum, interdisziplinäre Talente aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzuführen, um innovative und mitunter ungewöhnliche Lösungen für reale und relevante Probleme zu entwickeln. Der Begriff setzt sich wiederum zusammen aus Hacking und Marathon.

Okay. Und was hat das nun mit Gießen zu tun?

Der Untertitel der Veranstaltung ist: »Gestalte die Zukunft deiner Stadt«, es geht also um die Zukunft von Gießen. Gießener oder Menschen, die einen starken Bezug zu Gießen haben, sind eingeladen, innerhalb eines Wochenendes Ideen zu entwickeln, mit denen wir Gießen besser machen. Eine Zukunftsgestaltung anhand von konkreten Dingen, die man wirklich tut. Für Gießen basierend auf den Herausforderungen, die durch die Zivilgesellschaft eingebracht worden sind. Wir haben elf Challenges, die als Startpunkt dienen, um daraus Verbesserungen umsetzen.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass tatsächlich etwas Handfestes dabei herauskommt?

Es gibt zwei Elemente, die dazu beitragen. Jedes Team, fünf bis zehn Personen, das eine Challenge bearbeitet, wird betreut von sogenannten Befähigern. Das sind erfahrene Profis in der Begleitung von Innovationsprozessen, Produktentwicklung und Transformation. Es sind Menschen, die genau das können und die in der Lage sind, andere so mitzunehmen, dass sie am Ende eine realistische Lösung entwickeln. In die Prozesse haben wir außerdem Zwischenbewertungen eingebaut. So kommt man am Ende zu einem besseren Produkt oder einem besseren Service oder einer App oder was es auch immer am Schluss wird. Vielleicht gründet man auch einen Verein? Der zweite Aspekt ist, dass das ganze Konzept darauf beruht, dass man die Idee im Idealfall am Ende einfach umsetzt. Es geht darum, Dinge selbst zu machen und selbst zu verbessern. Es sollen keine politischen Forderungen entwickelt werden.

Wie garantieren Sie, dass die Menschen dranbleiben?

Drei Teams können Weitermachen-Pakete gewinnen. Der erste Preis sind 1000 Euro und weitere Unterstützungen und einem Workshop mit Experten, die weiterhelfen bei der Frage, was man mit dem Geld am besten macht. Den Prototypen ausarbeiten oder einen Rechtsanwalt mit einem Patent beauftragen oder in den Baumarkt fahren und Holz kaufen, damit das Hüttchen, welches vielleicht Teil der Idee ist, gebaut werden kann. Es gibt also eine gewisse Begleitung.

Ist das Konzept mit der Gießener Bürgerbeteiligung vergleichbar?

Bürgerbeteiligung ist in meiner Wahrnehmung, Bürger werden beteiligt an Dingen, die andere machen wollen. Bürgerbeteiligung ist wichtig, lokale Agenda-Gruppen sind wichtig, aber wir bringen quasi einen weiteren Aspekt rein: Wir befähigen Bürger, Dinge zu tun. Der Tomorrathon ist ein Bürger-Befähigungs-Format, kein Beteiligungs-Format.

Welche Ideen haben Sie, die die Stadt besser machen würde?

Die Challenges sind so formuliert, dass man sofort drei bis fünf oder auch 20 Ideen dazu haben kann. Ich könnte die haben. Sie könnten die haben. Jeder Leser könnte eine haben. Ich will meine aber nicht nennen, denn es geht nicht um meine Ideen, sondern um die Ideen der Bürger, die mitmachen. Der Tomorrothon bietet den Rahmen, in dem die Bürger ihre Stadt besser machen können.

Welche Challenges wird es geben?

Die Challenges orientieren sich an Themenfeldern, zum Beispiel an nachhaltiger Wirtschaft. Es gibt zwei Challenges im Bereich Kreislaufwirtschaft. Wie können wir die Kreislaufwirtschaft attraktiv machen. Wie können wir die Lebensdauer der Produkte, die wir haben und kaufen, verlängern? Eine Challenge geht in Richtung Selbstversorgung. Wie können wir Gießen zu einem Gemüse- und Salatgarten für alle machen? Dann gibt es noch die Kultur. Kann man Gießen zur Märchen- und Geschichten-Stadt oder Kunst und Kultur allen zugänglich machen? Oder: Wie können wir Gießen zu Start-up-Stadt Nummer 1 in Deutschland machen? Man kann aber auch eine eigene Challenge oder eine erste Idee mitbringen. Einige Menschen haben sich schon als Team mit einer eigenen Challenge oder ersten Idee angemeldet. Man kann aber auch einfach als Einzelperson mitmachen und eigene Ideen einbringen und beim Tomorrathon Mitstreiter finden.

Gab es den Tomorrathon schon in anderen Städten?

Nein. Das Konzept habe ich mir ausgedacht. Es ist vom Grundgedanken aber so, dass es auch in anderen Städten stattfinden kann. Gießen ist jetzt der Prototyp.

Was erwarten Sie von dem Wochenende?

Es ist ein Erfolg, wenn wir für alle Challenges mindestens ein Team haben und diese Teams Lösungen entwickeln, von denen sie selbst sagen, das ist eine gute Idee und wir haben Lust weiterzumachen. Und wenn es dann irgendwann real wird, wäre das cool. Schön wäre es auch, wenn sich die lokale Politik mit den Ergebnissen beschäftigen würde. Es geht mir nicht darum, dass die Stadt eine Idee aufgreift und umsetzt. Es wäre aber spannend, wenn sich die Politik die Ideen der Bürger anschaut und überlegt, wie können wir die Umsetzung besser ermöglichen. Welche Unterstützung können wir dabei geben. OB Frank-Tilo Becher wird ein Grußwort sprechen und bei der Verleihung der Preise vor Ort sein.

Die Preisverleihung wird also schon innerhalb der Veranstaltung sein?

Es gibt am Sonntag ein Abschluss-Event im Who Killed The Pig und dem Gegenüber am Alten Schlachthof. Das wird ein buntes Programm mit Musik und Ständen der Challenge-Paten für alle Bürger der Stadt. Die Teams stellen dabei ihre Ideen vor, in fünf Minuten. Eine Jury entscheidet dann, wer gewinnt. Und dann gehen die Ideen hoffentlich in die Umsetzung.

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