»Wir stärken diese Regime«

Erst die Corona-Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine führen Deutschland seine Abhängigkeit vom globalen Handel vor Augen. Auch wenn erste Anti-Globalisierungstendenzen bereits zu erkennen sind, darf man laut Jürgen Meckl, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der JLU, die positiven Effekte nicht vergessen: Die Globalisierung habe die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessert.
Herr Meckl, ist mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine der Traum der Globalisierung für Deutschland geplatzt?
Mit dem Angriff und den weiterreichenden Drohungen ist nicht nur die Illusion der Globalisierung fundamental beschädigt worden, sondern viel mehr die von einem friedfertigen Miteinander der großen Weltmächte. Auch der Traum des Siegeszuges der Demokratie hat sich als Illusion erwiesen. Wir müssen realisieren, dass wir in einer Welt leben, die sich nicht durch einheitliche Gesellschaftsentwürfe auszeichnet.
Wird es nun eine Kehrtwende, die Anti-Globalisierung, geben? Zumindest in Hinblick auf Autokratien und Diktaturen?
Man wird mit Autokratien und Diktaturen - vergleichbar zu Zeiten des kalten Krieges nach 1945 - einen neuen Modus des internationalen Handels finden, jedoch mit deutlich reduziertem Handelsvolumen, bis hin zu auf rein humanitäre Lieferungen reduzierten Handelsbeziehungen in akuten Konfliktfällen. Eine derartige Blockbildung hat sich schon nach der Finanzkrise ab 2010 abgezeichnet, sie wird jedoch durch die aktuellen Ereignisse erheblich beschleunigt.
Deutschland braucht Russlands Energielieferungen, in Zukunft Katars. Stützen wir solche Regime durch unseren Handel?
Von jeder auf Freiwilligkeit beruhenden ökonomischen Transaktionen profitieren beide Transaktionspartner. In den genannten Ländern kann sich typischerweise ein relativ kleiner Kreis im Umfeld der Regierenden einen Großteil dieser Transaktionsgewinne aneignen und nutzt diese auch zur Festigung der eigenen nationalen Machtposition. Ergo stärken unsere Energieimporte die dortigen Regimes. Nur fallweise sickern Teile dieser Gewinne auch an eine breitere Öffentlichkeit durch. Doch wir verfügen gerade im Energiebereich kurzfristig über wenige nennenswerte Alternativen. Wir können und sollten den Handel mit besonders aggressiven Staaten jedoch deutlich zurückfahren.
War nicht vorherzusehen, dass es zu einem Problem wird, wenn man sich von solchen Ländern abhängig macht?
Der Harvard-Ökonom Dani Rodrick hat mit seiner Kritik an der - wie er es nennt - »Hyperglobalisierung« regelmäßig auf das Problem verwiesen, sich durch Handelspartner erpressbar zu machen. Diese Erpressbarkeit erleben wir aktuell im Kontext der Energieversorgung im Ukraine-Konflikt, haben das aber auch in den Ölkrisen der 70er- und 80er-Jahre erfahren. Ähnliche Erpressbarkeitspotenziale hat Westeuropa generell im Energiebereich, haben viele Industrieländer bei der Halbleiterproduktion und - möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft - in anderen Rohstoffbereichen wie seltenen Erden oder auch den globalen Klimabedingungen.
Deutschland hat auch Teile der Warenproduktion in Länder wie China ausgelagert. War das ein Fehler?
Eine intensive internationale Arbeitsteilung hat gesamtgesellschaftlich trotz aller Risiken enorme Vorteile für sämtliche am Handel beteiligten Länder. Internationale Verlagerungen von Teilen der Wertschöpfung sind deshalb vorteilhaft, weil sich die Beteiligten stärker auf das konzentrieren können, was sie vergleichsweise besser können, was sie mit vergleichsweise geringerem Einsatz knapper Produktionsmittel realisieren können. Gerade das extrem außenhandelsorientierte Deutschland profitiert enorm von diesen Vorteilen. Aber wirtschaftliche Prosperität ist immer gegen Sicherheitsinteressen - nationale Sicherheit, Sicherheit der Versorgung - abzuwägen.
Aber auch das Verhindern von zum Beispiel Arbeitnehmerrechten durch diese Regime spielt doch eine Rolle bei der Entscheidung, dort zu produzieren.
Weniger gut ausgebaute Arbeitnehmerrechte sowie Sozial- und Umweltstandards verschaffen den entsprechenden Ländern zusätzliche Kosten- und damit Wettbewerbsvorteile. Man denke dabei beispielsweise an die stark umweltbelastende Produktion von Pharmazeutika im indischen Hyderabad. Diesen Zielkonflikt zwischen einer kostengünstigen Produktion von Pharmazeutika und einem Aufbürden zusätzlicher Lasten auf die Menschen in den Produktionsorten sollten sich westliche Gesellschaften stets vergegenwärtigen.
Wir lassen im Zuge der Globalisierung für unseren Wohlstand also andere Menschen leiden?
Die Tatsache, dass aus der internationalen Arbeitsteilung Gewinne resultieren, ist keineswegs daran geknüpft, dass in den Partnerländern Menschen leiden. Ganz im Gegenteil. Gerade eine starke Einbindung in den internationalen Handel hat die Entwicklung von Ländern gefördert, die heute zu den führenden Industriestaaten gehören wie Japan oder die Tiger-Staaten Asiens. Oder betrachten Sie die Entwicklung in China infolge der Öffnungspolitik. Mit zunehmender Integration Chinas in das Welthandelssystem sind dort auch die Einkommen der ärmeren und ärmsten Bevölkerungsschichten spürbar angestiegen, größere Hungersnöte traten seither nicht mehr auf, eine gewisse Mittelschicht konnte sich etablieren. Die vielfach arg kritisierte Globalisierung hat in ganz entscheidendem Maße zu diesen Entwicklungen beigetragen. Dass dabei der Aufbau von freiheitlichen Rechten nicht mit dieser ökonomischen Prosperität Schritt gehalten hat, ist primär ein gesellschaftspolitisches Problem denn ein handelspolitisches.
Wie wirtschaftlich autark könnte die Europäische Union eigentlich werden, wenn sie wollte?
Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energie und auch der European Chips Act sind schon deutliche Bestrebungen in Richtung Abbau aktuell vorhandener Abhängigkeiten, um sich weniger erpressbar zu machen. Diese Prozesse können nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, bestehende Abhängigkeiten können nur über die Zeit abgebaut werden. Der Wille dafür ist durchaus erkennbar, aber die Umsetzung wird noch wenig konsequent vorangetrieben. Europa wird wohl immer ein gutes Stück abhängig sein von Importen, weil die Rohstoffe schlicht nicht vorhanden und möglicherweise auch technisch auf absehbare Weise nicht umfassend ersetzbar sind.
Könnte Deutschland als Voraussetzung für den internationalen Handel die Einhaltung von demokratischen Rechten und sozialen Standards zur Bedingung machen?
Die Chancen dafür, dass sich auf absehbare Zeit die Standards westlicher Industrieländer in den sich entwickelnden Partnerländern etablieren, schätze ich nicht allzu hoch ein. Dafür vermisse ich auch eine ausgeprägte Bereitschaft in den westlichen Gesellschaften, die dadurch entstehenden höheren Kosten zu tragen. Wir müssen unseren Handelspartnern aber auch einen sukzessiven Aufbau von Standards über die Zeit zugestehen, schließlich haben sich Standards auch bei uns erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die westlichen Industrieländer sollten einen solchen sukzessiven Aufbau von Standards einfordern, aber auch eine klare Vorbildfunktion im Einhalten von Standards einnehmen und ihrerseits völkerrechtlich bindende Verträge stets umfassend respektieren.