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Werbung für Abtreibung?

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Von: Karen Werner

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Darf die Ärztin Kristina Hänel auf ihrer Internetseite mitteilen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt? Um diese Frage geht es bald vor Gericht. Hänels Petition dazu hat schon 4000 Unterstützer.

Bis zu zwei Jahre Gefängnis drohen der Gießener Ärztin Kristina Hänel, weil auf der Internetseite ihrer Praxis das Wort »Schwangerschaftsabbruch« steht. Das könnte verbotene »Werbung« für Abtreibungen sein, meint die Staatsanwaltschaft Gießen und hat Anklage erhoben. Hänel widerspricht: Frauen müssten sich über legale Eingriffe informieren können. "Durch alle Instanzen" Die 61-Jährige hat einen Kampf gegen das Werbeverbot begonnen, der bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Eine Petition an den Bundestag wurde innerhalb der ersten Tage 4000-mal im Internet unterschrieben. »Ich bin bereit, durch alle Instanzen zu gehen«, kündigt sie im GAZ-Interview an.

Am 24. November steht am Amtsgericht die Verhandlung gegen Hänel an. Der Vorwurf: Sie habe verstoßen gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs (siehe Kasten). Denn die praktische Ärztin nennt auf ihrer Internetseite als Leistung – neben Lungenfunktionsuntersuchung oder Blutegeltherapie – auch »Schwangerschaftsabbruch«. Wer das Wort anklickt, kann weitere Informationen per E-Mail anfordern. Verfahren "äußerst selten"

Die Vorschrift wolle »verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird«, erläutert Thomas Hauburger, Sprecher der Gießener Staatsanwaltschaft. Ermittlungsverfahren dazu seien »äußerst selten«.

»Der Paragraf verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch«, sagt Hänel. »Er nutzt niemandem« – außer radikalen Abtreibungsgegnern, »die damit Ärzte einschüchtern«. Solche Organisationen erstatteten immer wieder Anzeigen. Fast nie kommen diese Fälle allerdings vor Gericht. In der Regel werden die Verfahren eingestellt. Nämlich dann, wenn die Mediziner ihre Internetseite ändern oder behaupten, sie hätten von der Rechtslage nichts gewusst. "Natürlich bin ich nicht für Abtreibung"

Doch Kristina Hänel kann das nicht vorgeben. Sie wurde schon zweimal von der »Initiative Nie wieder« angezeigt. In der aktuellen Anklageschrift heißt es, beim letzten Verfahren im Jahr 2008 sei noch von einem »unvermeidbaren Verbotsirrtum« ausgegangen worden. Damals sei der Ärztin der »Rahmen des rechtlichen Dürfens« vor Augen geführt worden. Nun seien an ihr »Unrechtsbewusstsein« höhere Ansprüche zu stellen.

Außerdem: Hänel will das Wort »Schwangerschaftsabbruch« nicht von ihrer Homepage entfernen. Das sei eine sachliche Mitteilung. Von Werbung könne keine Rede sein. »Natürlich bin ich nicht für Abtreibung. Aber manchmal ist sie die einzige Lösung in einem Konflikt. Ich betrachte es als meine Pflicht, diesen Menschen zu helfen.« Frauen landeten bei der Suche nach Medizinern, die Abbrüche durchführen, oft auf Internetseiten radikaler »Lebensschützer«. »Und die sind verletzend«, sagt Hänel. »Ich bin auch ein Sprachrohr für diese Frauen, die diskriminiert werden.«

Hinter »Nie wieder« steht Klaus Günter Annen aus Weinheim. Er setzt auf Internetseiten wie »Babycaust« Schwangerschaftsabbrüche mit den Nazi-Verbrechen gleich (»Gespannt darf man sein, wie die Gerichte 72 Jahre nach Auschwitz entscheiden werden«). Kristina Hänel bezeichnet er als »vorgeburtliche Kindstöterin«.

Häufig Anfeindungen erlebt

In mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit hat die 61-Jährige auch in Gießen immer wieder Anfeindungen erlebt. Die christliche »Aktion Helfen statt Töten« protestierte vor allem gegen das Medizinische Institut von Pro Familia, das 2005 nach 20 Jahren schloss. Die Gruppe sei nicht mehr öffentlich aktiv, erklärt auf GAZ-Anfrage Torsten Pfrommer, Vorsitzender der Evangelischen Allianz Gießen. Nach wie vor sei es seiner Organisation »ein Grundanliegen, dass das menschliche Leben unantastbar ist«. Auseinandersetzungen dürften allerdings »nie auf diffamierende oder verletzende Art« geführt werden. Viel Zuspruch für Petition

Aktuell erhält Kristina Hänel vor allem Zuspruch. Ihre Petition auf change.org zur Abschaffung des Paragrafen 219a wird vornehmlich von Frauen unterstützt. »Wir wollen nicht zurück in die Zeiten des Stricknadeleinsatzes!«, erklärt eine. Eine andere unterschreibt, »weil ich als Mutter weiß, wie viel die Kindererziehung einem Menschen abverlangt und dass man diese Verantwortung nicht aufgezwungen bekommen darf«.

»Ich habe niemals damit gerechnet, dass ich vor Gericht muss«, sagt Kristina Hänel. Aber nun wolle sie den Kampf gegen den Paragrafen 219a durchfechten. »Ich bin Marathonläuferin. Ich weiß, wie man durchhält.«

Paragraf 219a

Bis zu zwei Jahre Haft drohen

Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft«. Eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe droht jedem, der »öffentlich (...) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel (...), die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, (...) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt.« Die Vorschrift wurde 1926 abgeschafft und 1933 von den Nazis wiedereingeführt. Bei den Reformen des Paragrafen 218 wurde der 219a nur leicht verändert.

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