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Wenn der Seltersweg in Gießen erwacht

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Von: Burkhard Möller

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© Burkhard Moeller

Die Fußgängerzone in Gießen ist eine Lebensader, wuselig und kommunikativ. Doch die frühen Morgenstunden gehören dort Saubermännern, die auf Spätheimkehrer stoßen.

Ob man bei diesem Geräusch noch schlafen kann? Die Frau mit dem Rollkoffer, die auf dem Weg zum Bahnhof ist, ist noch 50 Meter vom Elefantenklo entfernt, aber das Klackern hört man bereits deutlich. Nur ganz wenige Menschen sind um kurz vor sechs Uhr im Seltersweg unterwegs. Oben auf dem E-Klo sitzt ein Pärchen eng umschlungen, er hat eine Bierflasche in der Hand. Nicht alle Spätheimkehrer sind so verhaltensunauffällig. Vom Kreuzplatz nähert sich eine Gruppe junger Kerle, die rumgröhlen. Ein Zigarettenautomat erhält einige heftige Karatetritte, ein paar Mülltonnen werden hin- und hergeschoben, dann ist der Spuk vorbei.

Für einige hat der Arbeitstag längst begonnen. Ein Gebäudereiniger ist bereits seit 4.30 Uhr auf den Beinen und sorgt mit einem Kollegen für saubere Schaufenster. Er ist einer der wenigen Profis, die das noch machen - dürfen. »Früher waren hier morgens 20 Mann mit Leitern und Eimern unterwegs, aber das ist vorbei«, erzählt er. Vor allem bei vielen Filialisten müsse das Verkaufspersonal die Reinigung mittlerweile miterledigen.

Zu den Lerchen gehören auch die Mitarbeiter/innen der Bäckereien in der Fußgängerzone, in denen sich am Morgen die roten, blauen und grauen Kisten mit der Ware stapeln. »Wir müssen Frühaufsteher sein, aber im Sommer fällt das nicht so schwer«, sagt eine Verkäuferin.

Müllautos und Akkubläser

Der Donnerstag ist im Rythmus der Fußgängerzone ein wichtiger Tag, denn dann wird der Müll abgeholt. »Schätzungsweise 300 Tonnen werden geleert«, erklärt Markus Pfeffer, Geschäftsführer der BID-Vereine Seltersweg und Theaterpark. Ab sieben Uhr sind die Müll-Lkw kreuz und quer in der Fußgängerzone unterwegs, um Verpackungsabfall, Papier und Restmüll abzuholen. Für die BID-Vereine ist die Sauberkeit und mithin das gesamte Erscheinungsbild der Fußgängerzone ein ganz wichtiges Thema. »Manchmal stellen Hausmeister die Tonnen schon am späten Mittwochnachmittag raus, das wollen wir eigentlich vermeiden«, sagt Pfeffer. Spätestens um elf Uhr am Donnerstag sollten sie in den Hauseingängen und Hinterhöfen verschwunden sein. Ein Ärgernis sind die festen und eigentlich abschließbaren Müllbehälter, aber die meisten Türen stehen offen, weil die Schlösser kaputt sind. »Die Tonnen werden rausgezogen und von Flaschensammlern durchsucht«, weiß Pfeffer. Entsprechend sieht es rund um einige der Behälter aus. Immerhin: Die Stadtkoalition hat zugesagt, die Eimer auszutauschen.

Jetzt ist ein sirrender Ton zu hören. »Akkubläser«, tippt Pfeffer, und tatsächlich biegt ein Mitarbeiter der Stadtreinigung mit einem der umwelt- und gehörfreundlichen Pusterohre um die Ecke. Kein Vergleich zum lärmenden Vorgängermodell.

Nach sieben Uhr nimmt der Fahrradverkehr in der Fußgängerzone zu, die Radler flitzen über die Kreuzungen. Zwischen 19 und neun Uhr dürfen sie die Fußgängerzone befahren, aber nicht in diesem Tempo. »Schrittgeschwindigkeit ist das nicht«, bemerkt der BID-Geschäftsführer.

Klare Regeln gibt es auch für den Lieferverkehr, ebenfall ein Topthema für den Seltersweg-Verein. Zwischen sechs und elf Uhr darf be- und entladen werden, und dann abends noch einmal zwischen 20 und 21.30 Uhr. Vor acht sieht man eigentlich kein Lieferfahrzeug. Der 12-Tonner, der bereits um kurz vor sechs am Kreuzplatz entladen wird und danach viel zu schnell den Seltersweg hochfährt, ist eine Ausnahme. Pfeffer: »Die meisten kommen, wenn die Geschäfte zwischen neun und zehn öffnen.« Pünktlich um elf Uhr fällt dann am Selterstor der Vorhang - aus Wasser.

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