Hitze in Gießen: Stadt ergreift Maßnahmen – „Städte fit machen für neues Zeitalter“
Im Sommer können Städte zu regelrechten Glutöfen werden. Begrünung und Entsiegelung könnten die Hitzewelle laut Experten eindämmen.
Gießen – Hot Town, Summer in the City: Schon 1966 hat »The Lovin’ Spoonful« das Leid der Stadtmenschen durch unerträgliche Hitze besungen. 56 Jahre später sieht die Realität nicht besser aus. Für den heutigen Dienstag (19. Juli) werden für Gießen über 35 Grad erwartet. Die Innenstadtbewohner leiden dabei womöglich stärker als die Menschen in Allendorf oder Rödgen. »Die Temperaturdifferenz zwischen Umland und Stadt kann zehn Grad betragen«, sagt Prof. Till Kleinebecker, Professor für Landschaftsökologie an der Justus-Liebig-Universität. Das liege vor allem an der Versiegelung durch Asphalt und Beton.
Im Rathaus sind die Folgen der Flächenversiegelung hinlänglich bekannt. In den umfangreichen Maßnahmen, auf die Bürgermeister Alexander Wright mit Blick auf die Hitze verweist, nimmt sie daher einen hohen Stellenwert ein. Neben kurzfristigen Aktionen wie dem »coolen Stadtplan« oder der Themenseite »Hitze und Trockenheit« auf der städtischen Internetpräsenz nennt Wright zum Beispiel das Förderprogramm »Grüne Mitte Gießen«, das eine Förderquote von 70 Prozent für Entsiegelungs-Maßnahmen und Begrünung vorsehe.
In Bebauungsplänen seien zudem Erhalt bzw. Schaffung von Frischluftkorridoren und Vorgaben zum Grünanteil festgehalten. Als weiteren kurzfristigen Schritt nennt Wright die Aufstellung einer Planungshinweiskarte mit ausgewiesenen Bereichen, die sich durch einen hohen Versiegelungsgrad und/oder versperrte Frischluftzufuhr besonders stark aufheizten.
Hitzewelle in Gießen: Klimakrise wird Situation weiter verschärfen
Hitze in Städten kann nicht nur unangenehm, sondern auch lebensgefährlich sein. Vor allem ältere und kranke Menschen sind gefährdet. Einer Anfang des Monats veröffentlichten Studie des Robert Koch-Instituts, des Umweltbundesamts sowie des Deutschen Wetterdiensts zufolge ist es zwischen 2017 und 2021 in Deutschland zu schätzungsweise 22 400 hitzebedingten Todesfällen gekommen. Die aktuelle Hitzewelle könne ebenfalls vielen Menschen das Leben kosten, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Der Klimawandel wird die Situation in den kommenden Jahren noch verschärfen, darin sind sich die meisten Experten einig. Die Stadt Gießen plant daher nicht nur kurzfristige, sondern auch mittel- und langfristige Maßnahmen gegen die Hitze. »Eine Stadtverordnetenanfrage zur Erstellung eines Hitzeaktionsplans liegt vor und wird in der nächsten Magistratssitzung diskutiert«, teilt das Büro des Bürgermeisters etwa mit. Offenbach hat solch einen Plan bereits eingeführt, in Frankfurt befindet er sich im Entstehen. Abgesehen davon soll bis Frühjahr 2023 ein landesweiter Hitzeaktionsplan kommen.
Gießen: Heller Asphalt gegen die Hitze
Die Stadt Gießen plant zudem die Erstellung einer Gestaltungssatzung »Freiraum und Klima«, die eine angemessene Begrünung der privaten Grundstücke bei Bauvorhaben zum Ziel hat. »Der zunehmende Trend zu Schottergärten soll unterbunden sowie eine klimagerechte Innenverdichtung gefördert werden.« Als eines von mehreren langfristigen Zielen nennt der Bürgermeister zudem die Verlegung von hellem Beton bei der Sanierung von hochfrequentierten Bushaltestellen.
Letzteres wird auch in anderen hessischen Städten forciert, zum Beispiel in Rüsselsheim. Eine gute Idee, sagt Prof. Maik Neumann, der an der THM unter anderem »Nachhaltiges Bauen« lehrt. »Je heller eine Stadt, desto weniger Wärme wird absorbiert.«

Hitzewelle: Versiegelte Flächen heizen sich „deutlich stärker auf“
Auch JLU-Professor Kleine-becker sieht in hellem Asphalt eine Möglichkeit, der Hitze entgegenzuwirken. Eine weitere wäre die flächendeckende Begrünung von Fassaden und Dächern, zumal es innerhalb des Anlagenrings bis auf Botanischen Garten und Theaterpark kaum Grünflächen gebe.
Großes Potenzial, darin sind sich die Professoren einig, stecke vor allem in der Entsiegelung von zubetonierten oder asphaltierten Flächen. »Diese Flächen heizen sich im Gegensatz zu nicht versiegelten deutlich stärker auf, da sie Einstrahlung absorbieren und erst langsam wieder freigeben«, sagt Kleinebecker. Bewachsene Flächen würden ihre direkte Umgebung durch die Verdunstungskälte hingegen abkühlen.
Gießen: „Städte fit machen für neues Zeitalter“
Das ist auch ein Grund, warum sich Kleinebecker dafür ausspricht, in Städten in die Höhe zu bauen und somit die Versiegelung zu reduzieren. Das habe natürlich Grenzen, zumal Hochhäuser Frischluftschneisen verhindern würden. »In Gießen haben wir jedoch Glück, dass die Wieseck und die Lahn für einen gewissen Luftaustausch mit dem Umland sorgen«, sagt der Landschaftsökonom.
Es gibt also Mittel und Wege, die Hitze in Städten zu reduzieren. Wichtig sei nun, sagt Professor Naumann, diese auch zu nutzen. »Die Sorge vor den anstehenden Temperaturen führt uns vor Augen, dass wir die Städte fit machen müssen für ein neues Zeitalter. Nicht erst in zehn Jahren, sondern jetzt.« (Christoph Hoffmann)
Auch Hunden machen die hohen Temperaturen zu schaffen. Glutheiß ist es jetzt auf dem Asphalt, wo sie sich normalerweise neben den Füßen von Frauchen und Herrchen durch die Stadt bewegen. In diesen Tagen im wahrsten Sinne des Wortes ein absolutes »No-go«, sagen die Gießener Tierärztin Christel Hahn und Astrid Paparone, Vorsitzende des Gießener Tierschutzvereins.