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Nächste Apotheke in Gießen schließt - „Geschäft ist heute deutlich weniger lukrativ als früher“

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Von: Jens Riedel

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Das Apothekennetz in Gießen dünnt sich weiter aus. Am Monatsende wird mit der Central-Apotheke in der Plockstraße die nächste Apotheke schließen.

Gießen - Die Central-Apotheke in der Plockstraße, die es seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gibt, wird Ende September geschlossen. Apotheker Jörg Sommer will sich dann auf seine zweite Apotheke, die Sonnen-Apotheke in der Memeler Straße (Ecke Licher Straße), fokussieren. Bereits seit Juli gibt es die traditionsreiche Schubert-Apotheke in der Frankfurter Straße (Ecke Klinikstraße) nicht mehr - kurz vor ihrem 50-jährigen Bestehen ereilte sie das Aus.

Das ehemals sehr dichte Apothekennetz in der Gießener Innenstadt dünnt sich damit weiter aus: Geschlossen wurden in den letzten Jahren nämlich auch die Adler-Apotheke im Seltersweg, die Stadt-Apotheke in der Löwengasse, die Liebig-Apotheke in der Bahnhofstraße, die Nord-Apotheke in der Marburger Straße und die Hirsch-Apotheke in der unteren Frankfurter Straße. Davor gingen die Lichter schon in der Bahnhofs-Apotheke und in der Röntgen-Apotheke aus. Neu hinzu kamen in den letzten fünf Jahren nur die Apotheken im Uni-Klinikum und im Evangelischen Krankenhaus. Die Zahl der Apotheken in Gießen ist damit binnen zehn Jahren von fast 30 auf aktuell nur noch 21 geschrumpft - das ist ein Rückgang von fast 30 Prozent.

Apothekenschwund in Gießen: Heute ist das Geschäft deutlich weniger lukrativ

»Viele Apotheken tun sich aktuell schwer. Früher hat zwar jeder Apotheker gutes Geld verdient, aber heute ist es deutlich weniger lukrativ«, sagt Jörg Sommer. Die Gehälter seien gestiegen, die Personalsituation sei schwierig, die Energiekosten hätten sich verdreifacht, aber die Apothekerhonorare für Kassenrezepte seien seit vielen Jahren nicht erhöht worden.

»Die Gießener Innenstadt ist außerdem keine gute Lage für Apotheken«, erklärt Sommer. Dies liege zum einen an der Parksituation - schnell vorfahren und ein Medikament holen sei in seiner Central-Apotheke in der Plockstraße nicht möglich, in der Sonnen-Apotheke an der Licher Straße dagegen schon. Zudem habe seit der Corona-Pandemie die Kundenfrequenz in der Innenstadt abgenommen. Weil er die Räume im Haus der Central-Apotheke, das ihm gehört, gut vermieten kann, wird Sommer die Central-Apotheke schließen und nur noch die Sonnen-Apotheke weiterführen. Die gute Nachricht: Arbeitslos wird dadurch niemand - das Personal wird komplett in der Memeler Straße übernommen.

Apotheker in Gießen: „Ich mache nur eine Woche Urlaub im Jahr“

Beide Apotheken waren vor über 50 Jahren von Jörg Sommers Eltern gegründet worden. »Eine gute Mitarbeiterin ist in den Mutterschutz gegangen, eine weitere hat ihre Stundenzeit reduziert. Und ich mache nur eine Woche Urlaub im Jahr«, sagt Sommer, der nun beide Apotheken zusammenlegt.

Hauptgrund für die Schließung der Schubert-Apotheke sei Personalmangel gewesen, berichtet Apothekerin Claudia Lutz, die mit Ehemann Matthias Lutz diese Apotheke jahrzehntelang führte. Jetzt konzentrieren sich beide nur noch auf ihre Apotheke in Krofdorf-Gleiberg. »Mein Mann und ich haben über 50 Stunden in der Woche hinter dem Tresen gestanden; das war auf Dauer zu viel, und wir finden keine Mitarbeiter«, seufzt Claudia Lutz.

Die schulische Ausbildung zu Pharmazeutisch-Technischen Assistenten koste viel Geld; viele junge Leute wollten zudem nicht sechs Tage pro Woche in der Apotheke arbeiten - sie gingen lieber in die Pharma-Industrie, wo Vier--Tage-Wochen möglich seien und wo höhere Gehälter gezahlt werden könnten. Zudem habe sich das Arbeiten in der Apotheke verändert: Es gebe mehr Computerarbeit als früher, mehr Pflichten zur Dokumentation - und weniger Zeit für Gespräche mit Kundinnen und Kunden.

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An der ehemaligen Schubert-Apotheke in der Frankfurter Straße wurde das rote »A« bereits abmontiert. © Jens Riedel

Gießen: Kunden von Apotheken bestellen Arznei im Internet

Unter Druck geraten Apotheken auch wegen der Online-Konkurrenz: Kunden bestellen Arznei auch im Internet - eine Entwicklung, die der Einzelhandel insgesamt beklagt. »Die betriebswirtschaftliche Situation vieler Apotheken ist schlecht«, sagt Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes (HAV). Zunehmende Lieferengpässe bei Arzneimitteln sowie die Rabattverträge mit Herstellern verursachten einen zusätzlichen Beratungs- und Personalaufwand, während das Basishonorar der Apotheker seit über einer Dekade stagniere - trotz deutlich höherer Kosten für Gehälter, Mieten, Energie und Versicherungen. Die Schließung zahlreicher Apotheken sei die Folge. Die Zahl der hessischen Apotheken ist von 2019 bis 2021 von etwa 1450 auf 1400 gesunken. In Gießen ist der Apotheken-Schwund besonders drastisch.

»Das ist traurig und bedrückend«, sagt auch Mira Sellheim, Inhaberin der Apotheke am Ludwigsplatz in Gießen und Vorstandsmitglied im HAV. Trotzdem sei die Versorgung der Menschen in Gießen noch gut, auch wenn es etwa im Seltersweg gar keine Apotheke mehr gebe. »In der Innenstadt sinkt zudem die Zahl der Ärzte, das ist auch ein Grund dafür, dass es den Apotheken dort schlechter geht«, sagt Sellheim. Trotzdem malt sie für die Zukunft nicht schwarz. Ihre eigene Apotheke in Gießen laufe weiter gut. »Apotheken müssen mit Kundenfreundlichkeit und Menschlichkeit punkten - dann kommen die Kunden gerne dorthin«, sagt Sellheim. (Jens Riedel)

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