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Wenn Brustimplantate krank machen

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Von: Christine Steines

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Dr. Schloßhauer erläutert die Unterschiede verschiedener Silikonimplantate. © Oliver Schepp

In Deutschland werden pro Jahr etwa 60 000 Brustimplantate eingesetzt. Die Gelkissen liefern sowohl nach einer Brustrekonstruktion nach Krebs als auch bei der Brustvergößerung optisch gute Ergebnisse. Die Risiken werden jedoch unterschätzt, sagt der Plastische Chirurg Dr. Torsten Schloßhauer. Er rechnet damit, dass künftig immer mehr Implantate entfernt werden müssen.

Sie wiegen etwa 350 Gramm, manche haben eine glatte, andere eine angeraute Oberfläche. Dr. Torsten Schlosshauer, Chefarzt der Klinik für Plastische-, Ästhetische-, Rekonstruktuve und Handchirurgie zeigt, welche Silikonkissen auf dem Markt sind. Doch egal, für welches Produkt sich die Patientin entscheidet: Sie wird nach einer kurzen OP ihren »Traumbusen« haben. »Leider interessieren sich viele Frauen mit Wunsch nach einer Brustvergrößerung nicht für die Risiken«, klagt der Mediziner. Und leider komme dies den Interessen der »Beauty-Docs« entgegen: Auch sie legten offenbar nicht viel Wert auf Aufklärung und ein sorgfältiges Abwägen der Vor- und Nachteile. Vielmehr liege der Verdacht nahe, dass das schnelle Geld im Vordergrund stehe. 6000 bis 10 000 Euro kostet eine Brustvergrößerung mit Silikonimplantaten.

Was viele Frauen nicht wissen - und vor dem Eingriff oftmals auch gar nicht so genau wissen wollen: Die Implantate sind nichts für die Ewigkeit, nach spätestens zehn Jahren müssen sie ausgetauscht werden. Wenn es Probleme gibt, auch früher, und das ist oft der Fall, schildert Schloßhauer. Zu den häufigsten Begleiterscheinungen gehört die Kapselfibrose. Dabei bildet sich eine Bindegewebskapsel um das Implantat herum und bewirkt Schmerzen sowie eine Deformation des Implantats.

Ein weiteres folgenschweres Risiko sind Lymphome. Das sogenannte BIA-ALCL (Breast Implant-Associated Anaplastic Large Cell Lymphoma) ist ein Tumor des Lymphsystems. Man vermutet, dass die Ursache eine Immunreaktion auf die Silikonbestandteile in der Hülle des Implantats ist. »Das ist natürlich für Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren, besonders fatal«, sagt Schloßhauer. Für diese Patientinnen ist oft eine Brustrekonstruktion mit Eigengewebe eine Alternative zu Implantaten. Schlosshauer wünscht sich, dass in den Brustkrebszentren mehr als bisher über diese Möglichkeit aufgeklärt wird.

Längst nicht jede Frau, die sich einen größeren Busen wünscht und sich für ein Implantat entscheidet, bereut diese Entscheidung, viele sind glücklich mit ihrem neuen Erscheinungsbild.

Aber es werden immer mehr, die über Beschwerden klagen, weiß der Plastische Chirurg. Das Problem ist, dass es nicht so einfach ist, zwischen den unspezifischen Beschwerden wie Erschöpfung, Kopfschmerzen, Haarausfall, Schmerzzuständen, Schlafstörungen und neurologischen Symptomen einen Zusammenhang mit dem Silikonimplantat herzustellen.

Der unspezifische Symptom-Komplex trägt den Namen Breast Implant Illness (BII). BII ist jedoch keine anerkannte Krankheit, es gibt viele Vermutungen, aber keine Studien, die den Zusammenhang belegen. Das bedeutet, dass viele Frauen einen hohen Leidensdruck verspüren, aber erst einmal keine Idee haben, was die Ursache sein könnte. Und selbst wenn sie ärztlichen Rat suchen und ein Kontext hergestellt wird, ist unklar, ob und wie ihnen geholfen werden kann. »Man weiß noch viel zu wenig darüber«, klagt Schloßhauer. Und ein Implantatregister, wie es die Deutsche Gesellschaft der Plastischen Chirurgen fordere, werde erst 2024 in Betrieb gehen.

In der Öffentlichkeit sind diese massiven Probleme kaum bekannt. Nach dem so genannten PIP-Skandal, bei dem vor 20 Jahren ein französischer Hersteller aufflog, der Implante minderwertiger Qualität im großen Stil verkauft hatte, ist das Thema aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden. In der Beauty-Branche gehört die Brustvergrößerung mit Implantaten jedoch nach wie vor zum kaum hinterfragten Alltag, erläutert Schloßhauer. Große Brüste seien Bestandteil des Schönheitsideals, das in den sozialen Medien transportiert und durch Influencerinnen befeuert werde. »Gerade für ganz junge Frauen ist das ein wichtiges Status-Symbol«, sagt der Mediziner. Die Brustvergrößerung gehört auch in der Klinik für plastische Chirurgie am EV zum Leistungspektrum. »Aber wir machen nicht alles, was geht. Zu unserem Anspruch gehört es, mit den Patientinnen ausführlich die Risiken abzuwägen«.

In Deutschland werden nach Herstellerangaben rund 60 000 Implantate pro Jahr eingesetzt. Gleichzeitig steigt die Zahl der Frauen, die über Symptome klagen. »Dem müssen wir uns stellen«, sagt Schloßhauer. Er rechnet damit, dass es künftig mehr Patientinnen geben wird, die ihr Implantat entfernen lassen müssen. »Mit einer seriösen Aufklärung im Vorfeld bliebe den Frauen viel Leid erspart«.

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