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Stahlfirma in Gießen will größer werden: Waldrodung „keineswegs sicher“

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Von: Burkhard Möller

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An drei Seiten ist Bieber+Marburg von Wald umgeben. Auf der Südseite sollen weitere vier Hektar Bundesforst einer erneuten Erweiterung weichen.
An drei Seiten ist Bieber+Marburg von Wald umgeben. Auf der Südseite sollen weitere vier Hektar Bundesforst einer erneuten Erweiterung weichen. © Burkhard Möller

Das Stahlunternehmen Bieber+Marburg will seinen Standort in Gießen ausbauen. Muss dafür der Wald weichen?

Gießen – Im Stadtparlament zeichnet sich eine breite Mehrheit für die Aufstellung eines Bebauungsplans zur Erweiterung von Bieber+Marburg ab. Magistrat und Koalition betonen, dass damit noch keine Entscheidung über die Rodung von vier Hektar Wald getroffen wird. Von einer Fällung ab November ist keine Rede.

Die Pläne des Gießener Industrieunternehmens Bieber+Marburg, sein Betriebsgelände erneut zu erweitern und vier Hektar Wald im Bundesforst am Steinberger Weg zu roden, waren das bestimmende stadtpolitische Thema der letzten drei Wochen. Möglicherweise wird man von dem Vorhaben nach dem 7. April, wenn das Stadtparlament über die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplan entschieden hat, längere Zeit nichts mehr hören, bis es zur Vorlage eines Vorentwurfs kommt.

Waldrodung in Gießen steht nicht fest

Planungsdezernentin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) stellte die Verwaltung, die Gremien und die Firma am Dienstagabend im Bau- und Planungsausschuss auf einen langwierigen Planungsprozess »im Vollverfahren« mit umfassender Umweltprüfung ein. »Es ist keinesfalls sicher, dass die umweltrechtliche Prüfung ergibt, dass die Rodung verträglich ist«, sagte die Stadträtin. Mit dem Aufstellungsbeschluss werde die Tür geöffnet, um das Erweiterungsvorhaben zu prüfen.

Auch das grüne Ausschussmitglied Michel Zörb war hörbar bemüht, die Ergebnisoffenheit zu betonen. »Wir beschließen heute Abend nicht, ob ein Wald gerodet wird, schon gar nicht in 2022«, erklärte Zörb in Anspielung auf eine Vorhabenbeschreibung, die die Architekten von Bieber+Marburg Ende Februar bei der Stadt eingereicht hatten.

Darin enthalten ist ein Zeitplan, der von einer Rodung, gegen die heimische Naturschützer Sturm laufen, bereits ab kommenden November und der Inbetriebnahme der beiden zusätzlichen Hochregallager in drei Jahren ausgeht. Diese Termine sind nicht zu halten, da der neue Regionalplan Mittelhessen, in dessen Entwurf die Betriebserweiterung bereits enthalten ist, noch lange nicht rechtskräftig ist. Bis zur Rechtskraft gilt der aus dem Jahr 2010, in dem die aktuelle Erweiterungsfläche nicht steht.

Stahlunternehmen will in Gießen ausbauen: Kritik an Bieber+Marburg zurückgewiesen

Wie berichtet, war die erste Erweiterung 2009 von der Regionalversammlung im Rahmen eines Abweichungsverfahrens nur unter der Maßgabe genehmigt worden, dass es keine weitere Ausdehnung des Betriebs in den Wald gibt. Darauf machte im Ausschuss Lutz Hiestermann, Fraktionsvorsitzender von Gigg/Volt, aufmerksam. Er nehme die Einladung des Magistrats und der Koalition für eine offene, sachliche und transparente Diskussion gerne an, aber der Umstand, dass der Magistrat die Information über den 2009 verfügten Erweiterungsstopp in der aktuellen Planvorlage unterschlagen habe, sei »nicht vertrauensbildend«, sagte Hiestermann.

Der Blick zurück weckt bei Hiestermann auch hinsichtlich der nun erneut vorgesehenen naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen Zweifel. Er zitierte einen Sprecher des Bundesforstes, der ihm gegenüber die Aufforstung des früheren Sportplatzes der Steubenkaserne (heute Europaviertel) als »Ärgernis« bezeichnet habe, weil Bieber+Marburg nicht richtig mitgezogen habe. Unter anderem mit der Aufforstung von 1,5 Hektar Eichenwald sollte der Verlust von knapp drei Hektar Wald für die 2009 durchgeführte Betriebserweiterung ausgeglichen werden.

Weigel-Greilich räumte ein, dass bei der auferlegten Anpflanzung von Stieleichen »handwerkliche« Fehler gemacht worden seien, die aber durch andere Maßnahmen kompensiert worden seien. Gegenüber der Stadt habe der Bundesforst, der die Maßnahme selbst durchgeführt habe, geäußert, mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Kritik an Bieber+Marburg wies die Stadträtin zurück: Das Unternehmen habe die Kosten »vollumfänglich« getragen und sei mit der Umsetzung gar nicht befasst gewesen.

Grüne in Gießen pochen auf Klimaneutralität

Nicht zur Debatte steht nach Überzeugung der Dezernentin eine komplette Betriebsverlagerung, die vom Unternehmen abgelehnt wird und auch ökologisch problematischer wäre als der Waldverlust. Den bezeichnete Hiestermann als »hohen Preis« und hinterfragte die Erweiterung. Es gehe immerhin um eine Betriebsausdehnung um 70 Prozent seit 2009 an einem Standort, der »von drei Seiten von Wald umgeben ist«. Grünen-Vertreter Zörb äußerte die Erwartung, dass das Unternehmen im Zuge der weiteren Planung darlegt, wie es gedenke, klimaneutral zu arbeiten.

Für FDP und CDU war der Waldverlust kein Thema. Man unterstütze die Erweiterung eines expandierenden Gießener Unternehmens, das Arbeitsplätze sichere und schaffe sowie stattliche Gewerbesteuerzahlungen leiste, hieß es unisono von Frederick Bouffier (CDU) und Manuela Giorgis (FDP). Auch Michael Borke (SPD) betonte die Aspekte Steuereinnahmen sowie Arbeits- und Ausbildungsplätze, gleichwohl müsse es eine »sorgfältige Abwägung« geben. Günter Helmchen (Freie Wähler) verwies auf die historische Entwicklung des ungewöhnlichen Firmenstandorts im Wald am Gießener Ring und die Genehmigungen der Vergangenheit: »Wer A sagt, muss auch B sagen.«

Der Antrag des Magistrats auf Aufstellung des Bebauungsplans »Erweiterung Bieber+Marburg II« wurde einstimmig beschlossen. Gigg/Volt enthält sich in diesem frühen Stadium der Planung. (Burkhard Möller)

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