Wajsbrot, Kurzeck und der Rhythmus

Die Schriftstellerin und Übersetzerin Cécile Wajsbrot hat am Samstag auf Einladung der Peter-Kurzeck-Gesellschaft über ihre Begegnung mit Peter Kurzeck berichtet. Im Hermann-Levi-Saal gab die Französin zudem Einblicke in ihr Wirken.
Vor eineinhalb Jahren war die in Paris und Berlin lebende französische Schriftstellerin Cécile Wajsbrot schon einmal im Hermann-Levi-Saal zu Gast gewesen. Damals präsentierte sie ihren Roman »Zerstörung« über eine Welt, in der ein autoritäres Regime das kollektive Gedächtnis auszulöschen versucht. Am Samstag nun sprach sie auf Einladung der Peter-Kurzeck-Gesellschaft über ihre Begegnung mit Peter Kurzeck, über die Übersetzungsarbeit an seinen Texten und über ihr eigenes Schreiben.
Nach der Einführung durch Prof. Marcel Baumgartner erzählte Wajsbrot im Gespräch mit Rudi Deuble, dem langjährigen Lektor von Peter Kurzeck und Herausgeber der Werke aus dem Nachlass, wie sie Ende 2002 in einer Berliner Zeitung einen Text über Frankfurt fand, der in ihr das Bedürfnis weckte, mehr vom Autor Kurzeck zu lesen und die Main-Metropole zu besuchen. Sofort fielen ihr die besondere Sprache und der Rhythmus auf.
2003 entdeckte sie auf einer Lesereise dessen Roman »Als Gast«, den sie momentan ins Französische übersetzt. Einige Jahre später traf sie Kurzeck, in dieser Zeit reifte die Idee, seine Werke zu übertragen. Die Suche nach einem geeigneten Verlag gestaltete sich schwierig; um 2012 kam der Diaphanes-Verleger auf sie zu. Für Kurzeck, der nach seiner Jugend in Staufenberg in Frankfurt und später auch in Südfrankreich lebte, war es, wie Deuble anmerkte, wichtig, im Nachbarland wahrgenommen zu werden. Bei Diaphanes erschienen Wajsbrots Übersetzungen von »Mein Bahnhofsviertel« und »Übers Eis«.
Kurzecks Geschichten seien stark in Regionen wie Staufenberg oder Südfrankreich verankert, gleichzeitig ergebe sich eine Wanderung zwischen den Welten, unterstrich Wajsbrot. Seine Sprache sei eine Mischung aus »einer gewissen Einfachheit« und einer poetischen Ebene. Fragen, die sich bei der Übersetzung stellten, beträfen etwa die Übertragung geografischer Lagen wie »am Main« - »Frankfurt sur le Main« zerstöre den Rhythmus - oder die Schwierigkeit, passende Bezeichnungen für Begriffe zu finden, die im Französischen unüblich sind, wie zum Beispiel »Pizzeria debout« für Stehpizzeria.
Wajsbrot, Tochter polnischer Juden, die nach Frankreich flohen, fühlte sich am Gymnasium beim Deutschlernen an Schleusen erinnert, die sich mal öffneten, dann wieder schlossen; der düstere Zweite Weltkrieg sei durch ihren familiären Hintergrund »immer präsent«.
Als sie Kurzeck entdeckte, war ihre Schreibtätigkeit schon in Gang gesetzt, er sei daher keine direkte Inspirationsquelle. Beim Übersetzen müsse man, betonte Wajsbrot, dem Autor dienen, versuchen sich in seine Sprache hineinzuversetzen; mit ihrem eigenen Schreibstil habe dies nichts zu tun.
Die sprachliche Annäherung einer Übersetzerin thematisiert sie denn auch, verschiedene Ebenen verknüpfend, bei der Übertragung von Virginia Woolfs »To the Lighthouse« in ihrem jüngsten Roman »Nevermore« (2021). »To the Lighthouse« hat sie zwar nicht selbst übersetzt, dafür Woolfs »The Waves«. Hier sei wie bei Kurzeck der Rhythmus am wichtigsten; beide Autoren hätten einen offenen Blick auf die Welt, auch spielten Kinder jeweils eine wichtige Rolle.
Dass Kurzeck in seinen Werken die bundesrepublikanische Gesellschaft schildert, schien der Rezeption in Frankreich hinderlich; nur wenige Rezensionen seien dort in der Presse erschienen, bedauerte Wajsbrot. Am schönsten sei indes die Begegnung mit einem Pariser Buchhändler gewesen, der von ihrer Arbeit begeistert war und viele Exemplare von »Übers Eis« verkaufen konnte. Zum Schluss gab sie auf Französisch eine Kostprobe aus »Als Gast«.