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Vorurteile über Wissen abbauen

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Von: Dagmar Klein

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Die Ausstellung gibt auf die drängende Frage »Was kann ich gegen Rassismus und Antisemitismus tun?« Tipps und Hilfestellungen. © Dagmar Klein

Gießen (dkl). Am Donnerstagabend beging die Stadt Gießen den internationalen Holocaust-Gedenktag - zum ersten Mal in einer konzertierten Veranstaltung mit mehreren Beteiligten. Zwar wurde dieser Gedenktag schon 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgerufen, doch hat es gedauert, bis er sich verbreitet hat und institutionell verankert wurde.

Das überregional begangene Jubiläum »1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland« hat das Bewusstsein insgesamt gefördert. Allen voran war der Volkshochschulverband, der sich von Anfang an als Bildungspartner einbrachte.

Zur Gegenwart jüdischen Lebens

So hat auch Waltraud Burger, Leiterin der Volkshochschule Gießen, schon frühzeitig ein Programm auf die Beine gestellt, das zwar von Corona-Regeln behindert war, aber übers Jahr 2021 verteilt weitgehend stattgefunden hat. Dabei wurde ihr klar, dass der Blick meistens in Richtung Vergangenheit geht und die Gegenwart des jüdischen Lebens ausgespart bleibt. In diese Lücke springt eine Plakatausstellung, die die Zeitbild-Stiftung in Berlin erstellt hat.

Die vorherige Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz und Museumsleiterin Dr. Katharina Weick-Joch waren gleich zu begeistern für die Idee, diese 20 Plakatfahnen im Alten Schloss zu zeigen, an den Wänden des Netanya-Saals zu präsentieren. Erinnert die Namensgebung doch an die frühe Partnerschaft zwischen Gießen und der israelischen Stadt Netanya. Aus dem Depot wurde die Gedenkplakette zum 75-jährigen Bestehen von Netanya hervorgeholt und nun dem Publikum vorgestellt. Der damals auf israelischer Seite maßgebliche Ansprechpartner, der aus Wieseck stammende Abraham Bar Menachem, lächelt als Bronzekopf seit Jahren vor dem Eingang zum Saal.

Kurze Ansprachen hielten bei der gut besuchten Ausstellungseröffnung noch Dow Aviv, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Gießen, und Oberbürgermeister Frank Tilo Becher. Für Aviv hatte der Gedenktag bereits am Vormittag in der Theo-Koch-Schule Grünberg begonnen. Sein Hauptanliegen: Wir leben hier und wollen mit allen friedlich zusammenleben. Sprecht uns an, damit wir uns kennenlernen. »Gegen das Gift des Rassismus können wir nur gemeinsam angehen.«

OB Becher wies auf die aktuelle Erfahrung hin, dass schwer fassbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie Verschwörungstheorien und alte Mythen beflügeln, durch die heutigen digitalen Medien rasend schnelle Verbreitung finden. Sein Plädoyer lautet: »Vorurteile lassen sich nur über Wissen abbauen«, Wissen, das über Lesen und Gespräche zu erwerben ist, was die aktuelle Ausstellung ermöglicht. Er wies noch auf das Interview hin, das eine Gruppe der Ricarda-Huch-Schule mit dem Holocaust-Überlebenden Thomas Breuer geführt hat, das über die Webseite der Stadt Gießen abrufbar ist.

Die Ausstellung richtet sich vor allem an Schulen, inhaltlich und medial, denn über QR-Codes lassen sich Informationen vertiefen, werden die Bilder auf dem Handy oder Tablet zu Filmen und kann man Gesprächen lauschen. Anmeldungen laufen über eine E-Mail an museum@giessen.de.

Vorgestellt werden auf den Plakaten vor allem junge Juden und Jüdinnen in Deutschland. Rabbiner Walter Homolka und Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sind altersmäßig die Ausnahme. Fernsehgesichter sind dabei wie der Schauspieler und Moderator Daniel Donskoy und die Schauspielerin Susan Sideropoulos. Die meisten von ihnen - ein Restaurantbesitzer, ein Rapper, zwei Studentinnen und andere - leben in Berlin.

Dazwischen gibt es einzelne Plakatfahnen mit geschichtlichen Informationen, die auf die Anfänge jüdischen Lebens seit 321 n. Chr. hinweisen, auf die gesellschaftliche Veränderung im 19. Jahrhundert und die Shoah. Zu den historischen Berühmtheiten (Heinrich Heine, Rosa Luxemburg, Albert Einstein, Hannah Arendt) lassen sich problemlos weitere aufzählen, doch soll der Schwerpunkt ja auf der Gegenwart liegen. Vor allem gibt es für die drängende Frage »Was kann ich gegen Rassismus und Antisemitismus tun?« Tipps und Hilfestellungen. Die Themen können vertiefend betrachtet werden auf der Webseite der Zeitbild-Stiftung, dort steht ebenfalls ein Begleitheft zur Ausstellung als pdf zum Download bereit (zeitbild-stiftung.de unter Projekte).

Waltraud Burger hofft noch auf die Genehmigung des Verlags, dass die anschließende Lesung der Erinnerungen von Max Mannheimer in der Pankratiuskirche, die aufgezeichnet wurde, auch auf der Webseite von Volkshochschule und/oder Museum Gießen eingestellt werden kann. Denn viele Menschen haben sich in der aktuellen Corona-Situation gescheut, an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen.

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