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Von wegen Flaute

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Von: Christoph Hoffmann

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Nicht nur wegen der erfolgreichen Vermittlung von Kreuzfahrten kann sich Jens Becker über Umsatzerfolge freuen. © Oliver Schepp

Die Reisebranche hat große Veränderungen durchlebt, vor allem durch das Internet. Neben Konkurrenz bietet das Netz aber auch Chancen. Das sagt Jens Becker, der Chef des TUI-Reisecenters in der Katharinengasse. Nach der Pandemie boomt sein Geschäft wieder.

Ein Kreuzfahrtschiff schippert über den Ozean. Vermutlich schlürfen die Passagiere gerade einen Cocktail und schmieden Pläne für den nächsten Landgang. Das große Poster des Schiffes, das im TUI-Reisecenter in der Katharinengasse hängt, soll Lust auf Urlaub machen. Mit Erfolg: »Kreuzfahrten sind wieder sehr beliebt. Aber auch viele andere Reisen«, sagt Jens Becker, der Inhaber des Reisebüros. Die durch Corona verursachten Turbulenzen scheinen überstanden, von Flaute keine Spur. Vor Herausforderungen steht die Tourismusbranche dennoch.

Becker hat Ende der 1980er den Beruf des Reiseverkehrskaufmanns erlernt und sich kurz darauf mit seinem ersten Büro in Schotten selbstständig gemacht. Es war eine Zeit, in der Thailand abenteuerlichen Hippies und das Internet technik-affinen Nerds vorbehalten war. »Reisebüros waren damals die einzige Informationsquelle«, sagt Becker und fügt an: »Reisen wurden nicht verkauft, sie wurden verteilt.«

Reisen macht glücklich. Ferne Länder und Kulturen kennenlernen, im Meer baden, die Sonne genießen, nicht arbeiten müssen. Gut für die Gesundheit sollen Urlaube ebenfalls sein, nicht zuletzt wegen der Stressreduktion. Kein Wunder, dass 2022 laut dem Portal statista 67,1 Millionen Urlaubsreisen von den Deutschen unternommen wurden. Allerdings gehen dafür viele Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr in das Reisebüro.

Gut 30 Jahre nach Beckers Berufseintritt kann jeder Mensch selbst per Mausklick virtuelle Rundgänge durch den Urlaubsort unternehmen, Bewertungen durchforsten, die günstigsten Flüge vergleichen und schlussendlich eine Reise buchen. Es verwundert daher nicht, dass die Zahl der Reisebüros in den vergangenen Jahren drastisch gesunken ist. »2018 waren es noch 11 000, heute sind es vielleicht 8000 oder 9000«, sagt Becker. Dass sein eigenes Geschäft zu den erfolgreichen gehört, erklärt der Unternehmer vor allem mit der Qualität der Beratung.

Als Franchisenehmer des größten deutschen Reiseveranstalters profitiert Becker nicht nur durch Einrichtungsmöglichkeiten, Schaufenster-Designs, EDV-Tools und dem Reisesortiment, sondern auch durch Schulungsmöglichkeiten. Denn vor allem eine qualitativ hochwertige Beratung würde den Mehrwert eines Reisebüros ausmachen, sagt Becker. »Nur dadurch können Reisebüros am Markt bestehen. Viele Kunden schätzen auch den persönlichen Kontakt, nicht nur in schwierigen Situationen wie Vulkanausbrüchen oder Corona.« Aber auch in Zeiten ohne Krise würden die Kunden profitieren, betont der Tourismuskaufmann. »Das Internetportal sagt Ihnen nicht, dass Sie bei einem Abflug von Düsseldorf 800 Euro sparen, weil dort noch keine Ferien sind. Wir schon.«

Viele Menschen buchen ihre Reisen trotzdem online, und in vielen Fällen verläuft das auch problemlos. Daher will Becker auch nichts beschönigen. Auch sein Unternehmen verliere durchaus Kunden an das Internet. »Viele kehren aber zurück, weil sie online keinen festen Ansprechpartner haben, nicht beraten werden und nicht stundenlang die unzähligen Angebote durchklicken wollen.«

Gleichzeitig kämen neue Kunden durch Weiterempfehlungen von Stammkunden, durch Laufkundschaft oder Pleiten der Konkurrenz hinzu. Und nicht zuletzt profitiere sein Geschäft durch die Möglichkeiten, die sich online bieten. Zum Beispiel, wenn Kunden auf der firmeneigenen Homepage eine Reise buchen. »Das erklärt die vielen Stammkunden auch außerhalb des Landkreises«, sagt Becker.

Zahlen wie vor der Pandemie

Im TUI-Reisecenter in der Katharinengasse arbeiten sechs Menschen, in der Marburger Filiale sind es zwei weitere. Zusammen verkauft das Team vor allem Warmwasserreisen, also Strandurlaube in Orten, die über Kurz- Mittel- oder Langstreckenflüge zu erreichen sind. »Auch Kreuzfahrten gehören zu unserem Kerngeschäft, zudem bieten wir Gruppenreisen an, die wir teils selbst organisieren«, sagt Becker. Sogenannte Incentive-Reisen, die Unternehmen ihren Mitarbeitern bei besonderen Leistungen spendieren, gehören ebenfalls zum Angebot. In solchen Fällen reist Becker auch mal mit und betreut seine Kunden vor Ort.

Ein Job also, der nicht nur den Verkauf von Reisen beinhaltet, sondern auch das Reisen selbst. So fliegen Becker und sein Team regelmäßig in Urlaubsregionen, um die Hotels, die sie vermitteln, nicht nur vom Prospekt zu kennen. Trotzdem verliert der Beruf des Tourismuskaufmanns an Beliebtheit. So ist auch an der Gießener Max-Weber-Berufsschule die Schülerzahl in den vergangenen vier Jahren von 26 auf sechs eingebrochen.

Vor allem Corona dürfte daran einen Anteil haben. Während der Pandemie sind viele Reisearten zum Erliegen gekommen. Nicht wenige Menschen haben sich stattdessen auf Wander- oder Fahrradurlaube im Inland konzentriert, wofür ein Reisebüro mit Warmwasser-Fokus nicht unbedingt von Nöten ist. Bedenkt man noch die aktuelle Inflation sowie das gestärkte Bewusstsein für umweltfreundliches Reisen, sind die Bedenken künftiger Berufsanfänger durchaus nachvollziehbar - aber nicht begründet, wie Becker betont.

Trotz erschwerter Bedingungen konnte das Reisecenter aus der Katharinengasse den Umsatz zum dritten Mal in Folge steigern. Die Buchungen haben wieder das Niveau von vor Corona erreicht. »Auch 2023 sieht bisher super aus, deutlich besser als im Branchendurchschnitt«, sagt Becker und betont, dass sein Unternehmen von 7500 TUI-Anbietern zu den Top 25 gehöre. Bei anderen Veranstaltern findet sich sein Büro regelmäßig in den Top 100 - denn trotz der Zugehörigkeit zum TUI-Franchisesystem vermittelt Becker Reisen aller deutschen Veranstalter und Reedereien.

»Nach Corona haben die Menschen Nachholbedarf«, sagt Becker. Und auch wenn in den Portemonnaies vieler Gießener aktuell weniger Geld lande als früher, sei die Sehnsucht nach Ferne und Wärme noch immer ungebrochen.

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