Von Waldpforte bis Burgkirche

Gießen (pm). Die Bürgerinitiative »Historische Mitte Gießen« hat weitere sogenannte »Erinnerungsstraßenschilder« in der Gießener Innenstadt angebracht. Auch diesmal waren die Patenschaften schnell vergeben. Der Rundgang begann an der Ecke Walltorstraße/Braugasse, an der an das frühere Walltor erinnert wird. Als Waldpforte in der mittelalterlichen Ringmauer wurde sie erstmals 1379 im Bereich des Lindenplatzes erwähnt.
Mit dem Ausbau zu einer Festung wurde die gewachsene Stadt ab 1530 mit einem weiter hinausreichenden Wall und Graben umgeben. Dabei verlegte man auch das neue »Waldthor« in nördliche Richtung. Im Laufe der Jahrhunderte bürgerte sich dann der Name Walltor ein. Patin für das Schild ist Dr. Dorothea Freifrau von Ritter-Röhr.
Stephansmark wird zu Stephanstraße
Am Gebäude der Industrie- und Handelskammer in der Lonystraße übernahm die Gießener Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer (SPD) die Patenschaft für die sogenannte Stephansmark, der die Stephanstraße ihren Namen zu verdanken hat. »Ich finde es sehr wichtig, Vergangenheit sichtbar zu machen. Nur wenn wir unsere Geschichte kennen, können wir unsere Gegenwart verstehen und unsere Zukunft gestalten«, sagte Heidt-Sommer. Zur Geschichte gehöre, dass durch den verbrecherischen Krieg der Nationalsozialisten weite Teile der Stadt zerstört wurden. »Ich beteilige mich gerne daran, diese Spuren konkret und vor Ort sichtbar zu machen«, so Heidt-Sommer.
An der Ecke Frankfurter Straße/Liebigstraße hat Stadthistoriker Werner Schmidt die Patenschaft für die Universitätsstraße übernommen. Um 1850 wurde dieses Gebiet »Neue Stadtanlage« genannt. Die Häufung der universitären Einrichtungen führte um 1850 zu der Bezeichnung »Universitätsstraße«. Mit dem Bau des neuen Kollegienhauses in der Ludwigstraße wurde das bis ca. 1875 verfolgte Ziel eines Universitätszentrums auf dem Seltersberg aufgegeben, und die Universitätsstraße erhielt den Namen Liebigstraße. »Denkmale wie die Stolpersteine des Künstlers Gunther Demnig oder die historischen Straßenschilder der BI Historische Mitte Gießen können im Straßenbild dazu beitragen, die Schwelle des Vergessens nicht zu überschreiten«, sagte Schmidt.
Ein weiteres Schild wurde am südlichen Anlagenring am Gebäude des Schuhhauses Darré angebracht, auf welchem an den früheren Schoorgraben erinnert wird. Pate ist dort Peter Eschke. Auch er zeigt sich begeistert über die Schilderaktion: »Durch Zeitablauf hat sich das Bild der Stadt sehr stark verändert. Straßen und Stadträume wie der Schoorgraben sind aufgegeben worden oder nicht mehr sichtbar. Die ehemalige Festung und später der Schoorgraben prägen durch den Anlagenring bis heute und sicher noch auf lange Zeit unser Stadtbild.« An den Schoorgraben erinnern noch die oberirdisch sichtbaren Reste der Brücken in der Senckenbergstraße und in der Diezstraße.
Am früheren Burghof in der Neuen Bäue übernahm der Stadtverordnete Dominik Erb (FDP) die Patenschaft für das Neuenweger Tor, welches sich bis zur Schleifung der Wallanlagen zu Beginn des 19. Jahrhunderts dort befand. »Die Gedenkstraßenschilder bringen die Vergangenheit Gießens in das Bewusstsein der Menschen zurück und liefern neue spannende Informationen über unsere Heimatstadt«, sagte Erb.
Im Hinterhof der heutigen HUK-Coburg in der Sonnenstraße befand sich früher die sogenannte Burgkirche. Pate dafür ist der Dekan der Freien Theologischen Hochschule Gießen (FTH) Dr. Walter Hilbrands: »Ich bin Gründungsmitglied der BI und habe mich schon vorher mit der Geschichte Gießens befasst. Dabei fiel mir auf, dass die ehemalige Burgkirche kaum bekannt ist. Es handelte sich um die umgebaute Sporthalle (›Ballhaus’) der Universität«, erläuterte Hilbrands. Während des Neubaus der Stadtkirche (1808 bis 1821) war sie sogar das einzige Gotteshaus Gießens.
Ebenfalls im Stadtkern befand sich die frühere Stallgasse, parallel zur Marktstraße gelegen. Patin Jenny Burger freut sich über die Anbringung des Schildes: »Gießen ist meine Heimatstadt. Ich liebe historische Geschichten und Bilder vom alten Gießen und es ist mir eine Ehre, Patin für eine der früheren Gassen zu sein.«
Die Bürgerinitiative hat für Sommer 2023 eine weitere Schilderaktion angekündigt, bei der unter anderem auch das Essiggässchen und die Bieberlies Erwähnung finden werden.