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Von Protest bis Public Viewing

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Von: Christoph Hoffmann

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Daumen runter: Obwohl Britta Prell Fußball liebt, wird sie die WM-Spiele nicht in ihrer Kult-Kneipe »Sowieso« zeigen. © Oliver Schepp

Nie war eine Fußball-WM so umstritten wie das am Sonntag startende Turnier in Katar. Auch in Gießen regt sich Protest wegen der Menschenrechtsverstöße im Emirat sowie der schlechten Klimabilanz. Unter anderem Fridays for Future organisieren ein Gegenprogramm, manche Kneipen verzichten auf eine Übertragung. Andere zeigen die Spiele hingegen - auch auf der Leinwand.

Britta Prell ist glühender Fußballfan. Ihre Kneipe »Sowieso« ist mit etlichen Schals deutscher und internationaler Vereine geschmückt, Prell selbst steht fast jedes Wochenende auf einem der heimischen Fußballplätze und verfolgt die Spiele der lokalen Klubs. »Ich habe immer Fußballspiele gezeigt, viele Stammgäste kommen deswegen«, sagt die Wirtin. Während der WM in Katar wird der Fernseher in der Kultkneipe jedoch ausbleiben. Schweren Herzens, wie Prell betont. »Ich schaue und zeige gerne WM. Aber ich habe auch viele schwule und lesbische Freunde. Aus Solidarität bleibt die Glotze daher aus.«

So wie Prell denken viele. Für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar steht die FIFA aus vielerlei Gründen in der Kritik. Das Emirat stellt Homosexualität unter Strafe, Arbeitsmigranten wurden für den Bau der Stadien ausgebeutet, viele ließen dabei ihr Leben. Generell wird die Menschenrechtslage in Katar sehr kritisch gesehen. Vielerorts wird deswegen (und wohl auch wegen der teils unattraktiven Anstoßzeiten) auf Public Viewing verzichtet.

Sascha Homfeld und Thorsten Ströher werden die deutschen Spiele in Gießen dennoch auf die große Leinwand bringen, und zwar in den Hessenhallen. Die beiden wissen um die Brisanz. Zusätzlich zum Public Viewing wollen sie daher auf Stellwänden die Kritik an Katar aufgreifen. Auch in seiner Kneipe Apfelbaum will Ströher die Spiele zeigen. »Natürlich ist das ein schwerwiegendes Thema. Menschenrechte sind das oberste Gebot«, sagt der Gastronom. Er wolle die Entscheidung aber jedem selbst überlassen. »Wer die WM boykottieren will, bleibt daheim«, sagt Ströher. »Das ist Demokratie.«

Im Türmchen sind die Spiele ebenfalls auf zwei Leinwänden zu sehen. Betreiber Pedro Bulut sagt, sich mit der Situation in Katar nicht beschäftigt zu haben. Vor allem der Stress wegen des Weihnachtsmarkts habe ihn daran gehindert.

Auch bei Haiko Schimpf im Kaffee Wolkenlos gibt es die deutschen Spiele zu sehen, zumindest jene, die in die Öffnungszeiten der Kneipe fallen. »Die Diskussion in der Gastronomie zu führen, finde ich unverständlich. Die FIFA muss das klären«, sagt der Wirt. Jene Menschen, die nun kritisieren würden, dass die Gastronomie die Spiele nicht boykottiere, würden doch gleichzeitig Kleidung »Made in China« tragen. »Wo fängt das an? Wo hört das auf?«, fragt sich Schimpf.

Nicht in Katar. Diese Meinung vertritt zumindest ein Bündnis aus Fridays for Future, Students for Future, JLU-AStA sowie des Clean-Up-Walk Gießen. »Katastrophal ist die Ausrichtung durch das Wüstenemirat Katar nicht nur aufgrund der ausgebeuteten Gastarbeitenden und den Tausenden Menschen, die bei den Bauarbeiten für die WM ums Leben gekommen sind, sondern auch wegen unzähligen weiteren Menschenrechtsverletzungen wie die Bestrafung von Homosexualität. Infolgedessen warnt bereits die internationale Organisation Human Rights Watch die LGBTQ-Community davor, für die WM nach Katar zu reisen«, teilt Philipp Wächter von Students For Future mit und verweist auch auf die »verheerende CO2-Bilanz«. Laut Fridays For Future liegen die Emissionen der WM bei 3,6 Millionen Tonnen und somit höher als die Emissionen vieler Länder über ein komplettes Jahr hinweg.

Auch Stergios Svolos unterstützt die Protestaktionen. Der Grünen-Stadtverordnete wird sich am kommenden Montag ab 17 Uhr an einer Kundgebung am Berliner Platz beteiligen. »Es wird Redebeiträge zur WM geben, aber auch zur Situation im Iran, da das Land am selben Tag Fußball spielt.« Dass Unternehmer aus kommerzieller Sicht die Spiele trotz der Menschenrechtsverstöße zeigen, hält Svolos für falsch. »Wenn man sich bewusst macht, wie viel Leid diese WM verursacht hat, sollte man sich nicht aus der Verantwortung stehlen.« Er selbst werde die Spiele daher boykottieren. Svolos weiß aber auch, wie schwer diese Entscheidung manchen Wirten fällt. »Meine Familie ist auch in der Gastronomie tätig und zeigt die Spiele aus unternehmerischen Gründen.«

Zerrissenheit in der Familie

Zum Protest gehört auch eine Kneipentour am 1. Dezember, also jenem Abend, an dem Deutschland gegen Costa Rica spielt. Neben dem Sowieso wird auch Pits Pinte eine Station sein. »Wir boykottieren die WM, alle Spiele«, sagt Pinte-Betreiberin Doro Winkler mit Verweis auf die Menschenrechtsverletzungen im Emirat. Die Stammgäste, die sonst regelmäßig in der Kneipe in der Grünberger Straße Fußball schauen, seien mit der Entscheidung einverstanden. Das bekräftigt den Entschluss der Betreiberinnen. Denn für Doro Winkler und ihre Geschäftspartnerin Leo Vogler ist klar: »Für uns hat die WM in Katar nichts mehr mit Spaß am Sport zu tun.«

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