Vom Sammeln und Forschen

Die ethnographische Sammlung des Oberhessischen Museums gehört zu den größten und vielfältigsten in Hessen. Warum und auf welchem Weg kamen Objekte aus den unterschiedlichen europäischen Kolonien des südamerikanischen und afrikanischen Kontinents nach Gießen? Dieser Frage geht eine neue Ausstellung im Alten Schloss nach.
Rucksäcke aus dem Amazonasgebiet, ein Schild aus Tansania, rituelle Figuren aus Kamerun - das Oberhessische Museum ist voll davon. Allein über 1000 Objekte zählt die ethnografische Sammlung und ist damit eine der größten aller hessischen Museen. Wieso sind sie ausgerechnet in Gießen? Wer brachte sie dorthin? Woher stammen sie? - diesen Fragen geht das Museum nicht erst seit einer im Jahr 2019 im Alten Schloss gezeigten Ausstellung auf den Grund. Es gibt seitdem auch ein Forschungsprojekt zu Objekten aus kolonialen Zusammenhängen. Gemeinsam mit der ethnografischen Sammlung der Uni Marburg, aber auch gemeinsam mit zwei Museen aus Tansania und Kamerun, werden so Lücken in der Forschung geschlossen.
Zu Theo Kochs 150. Geburtstag
Einen Einblick in diese akribische Arbeit gibt die neue Sonderausstellung »Zwischen Sammelwut und Forschungsdrang. Koloniale Kontexte in Gießen«, die am morgigen Donnerstag im Alten Schloss eröffnet wird. Die beiden Kuratoren - Manuela Rochholl und Mário Jorge Alves - vermittelten nun vorab, gemeinsam mit Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, einen ersten Eindruck der Schau.
In der Ausstellung stehen zwei Sammler im Fokus: der aus Grünberg stammende Theodor Koch-Grünberg, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 150. Mal jährt und der Forschungsreisen nach Südamerika unternommen hat, sowie der in Hanau geborene noch eher unbekannte Reinhard Houy, der als Arzt an Expeditionen in Afrika teilgenommen hatte und dessen Sammeltätigkeit aktuell im Forschungsprojekt anhand von ausgewählten Objekten aus kolonialen Kontexten nachgegangen wird. Beide Männer haben, wie es damals beliebt war, Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gegenstände aus fernen Ländern zusammengetragen und so den Grundstein für die Fachrichtung der Ethnologie sowie die Gründung von ethnologischen Museen gelegt. Auch die Gießener Sammlung wurde so im Jahr 1910 gegründet. Doch Koch und Huoy stehen auch für unterschiedliche Beweggründe des kolonialen Sammeln, Forscherdrang bei Koch, Sammelinteresse bei Huoy. Die Ausstellung zeigt, wie gut Koch seine Reisen und Begegnungen mit den Indianern in Tagebüchern und mit Audioaufnahmen dokumentiert hat (auch eine von ihm gemachte Filmaufnahme ist zu sehen) und wie schwierig es ist, Herkunft und Geschichte anderer Objekte aus Afrika herauszufinden. Die Schau macht auch klar - Klebestreifen am Boden sollen dies verdeutlichen -, wie Personen und Objekte untereinander in Verbindung standen.
Eine von drei Ausstellungen
Gezeigt wird auch die Forschungsarbeit an sich. In einer der Vitrinen liegt etwa der Kolonialatlas aus. Alte Inventarkarten lassen hingegen nur bedingt Rückschlüsse darauf zu, wie ein Objekt ins Museum gekommen ist und welche Geschichte, vielleicht auch eine gewaltsame, dahinter steckt. Ob ein Objekt rechtmäßig erworben oder gestohlen wurde, wie es ins Museum gelangt ist und warum - die Ausstellung zeigt erste Antworten auf solche Fragen, aber auch den Prozess, wie nach ihnen gesucht wird.
Ziel ist es, ein möglichst umfassendes Bild über die Geschichten der Objekte und der Menschen, die sie gesammelt haben, zusammenzutragen. Dabei wird nicht nur deutlich, dass es noch zahlreiche weiße Flecken in der Forschung gibt, sondern auch, dass der Umgang mit den Objekten Teil ihrer Geschichte ist. Die Schau stellt auch klar, dass erst der Blick aus verschiedenen Perspektiven ein differenziertes Bild ergeben kann.
Die Schau im Alten Schloss ist eine von insgesamt drei Sonderausstellungen zu 150 Jahre Theo Koch-Grünberg. Es empfiehlt sich auch der Besuch von »Theodor Koch-Grünberg und die Produktion von Wissenschaft« der Uni Marburg (Deutschhausstraße 3) und von »2 mal 150 Jahre: Carl Geist und Theo Koch« im Museum im Spital in Grünberg.

