Visionen für den Neuanfang

Nach 20 Jahren Intendanz von Cathérine Miville stehen am Stadttheater die Zeichen auf Neustart. Die designierte Intendantin Simone Sterr sowie ihr fast komplett neues Team stellten gestern bei der Spielplanpräsentation vor, wie sich das gestalten soll. Start der neuen Spielzeit ist im September.
Simone Sterr versteht Theater ausdrücklich als Teamarbeit und als »Ort der vielen Stimmen«. Und entsprechend hatte die designierte Intendantin des Stadttheaters, die am 1. September offiziell in die neue Spielzeit startet, auch viele Leute um sich geschart, als sie nun ihre Visionen, Pläne und Mitstreiter für das Gießener Theater ab der Spielzeit 2022/23 präsentierte.
Dass die Präsentation, anders als in den zwei Jahrzehnten zuvor unter Intendantin Cathérine Miville, auf der Probebühne im Katharinenkarree vonstatten ging, war nur eine der bemerkenswerten Neuerungen. Neu war an dem »elektrisierenden Moment«, wie es Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher im Grußwort auf den Punkt brachte, auch, dass die Sparte Jugendtheater den Reigen der Spielplanpräsentationen eröffnete - ein Zeichen, dass dieser Bereich unter der neuen Intendanz eine erhebliche Aufwertung erfahren wird.
Junges Theater als Schwerpunkt
Mit Sebastian Songin ist erstmals ein Theaterpädagoge engagiert, das Junge Theater bekommt ein eigenes Ensemble und Mathilde Lehmann als Spartenleiterin. Jugendclubs im bisherigen Sinn wird es nicht mehr geben, allerdings ein reichhaltiges theaterpädagogisches Programm mit jeweils dreimonatigen Workshops zu einzelnen Themen mit anschließenden Präsentationen.
Sterr hatte sich vor zwei Jahren gemeinsam mit Ann-Christine Mecke als Leitungsteam beworben und mit ihrem Konzept überzeugen können. Mecke wird künftig das Musiktheater künstlerisch führen, Sterr als Intendantin und künstlerische Leiterin des Schauspiels die Hauptverantwortung für das Theater tragen. Ein Intendantinnen-Duo, wie etwa in Marburg, wird es also nicht geben.
Das neue Stadttheater-Logo, bei dem die Worte »Stadt, Theater, Gießen« übereinander stehen und von »Veränderungs«-Linien überlagert sind, soll, so Sterr, das Bekenntnis zu »Stadt, Theater und Stadtgesellschaft« symbolisieren. Die darübergelegten Linien stünden dafür, dass die Theaterleute die drei Begriffe immer wieder neu überschreiben wollen. »Das Theater ist ein verlässlicher Ort, der aber beweglich ist«, der immer wieder Themen aufnehme und aussende, stetig sei, aber auch zugleich veränderlich, betonte Sterr. Das Theater verstehe sie als »gemeinsamer Ort, die Gesellschaft neu zu verhandeln«. Es erzähle von Brüchigkeit, müsse aber »tunlichst vermeiden, die Welt zu erklären«. Die designierte Intendantin ist überzeugt davon, mit Geschichten, Erzählungen und Figuren das Publikum gewinnen zu können und setzt konsequent auf zeitgenössisches Theater und spartenübergreifendes Arbeiten.
Zudem wird es eigens eine »Spielzeit der Erinnerungskultur« geben (Leitung: Ayse Güvendiren) mit Performances, Lesungen, Interventionen und Podiumsgesprächen sowie einem »mobilen Teegarten«, um »erinnerungskulturelle Narrative« in die Stadtgesellschaft zu tragen.
Sterr installiert zudem feste Ensembles in allen Sparten und sorgt in ihrer ersten Spielzeit in Gießen für Ausgewogenheit von Alt und Neu im »vielstimmigen, charakterstarken Ensemble«. Sechs Schauspieler wurden übernommen, neue kommen dazu (Amina Eisner, Dascha Ivanova, David Garviria, Ben Janssen, Zelal Kapcik, Nils Müller, Nina Plagens, Izabella Radic). Auch im Musiktheater gibt es neue Gesichter: etwa Julia Araujo und Jana Markovic.
taT-Studiobühne wird »Kleines Haus«
Künftig wird es am Stadttheater keine »Studiobühne« mehr geben, sondern nur noch das »Große Haus« und das »Kleine Haus«. Dies sei ein Zeichen für die Gleichwertigkeit der beiden Häuser, betonte Sterr.
Im Tanztheater wird Spartenleiter Constantin Hochkeppel den Fokus verstärkt auf »Physical Theatre« legen. Im Musiktheater bieten Anne-Christin Mecke, der neue Generalmusikdirektor Andreas Schüller und der neue Kapellmeister Vladimir Yaskorski stilistische Verzahnungen von Opern- und Konzertplan (etwa beim »Sommernachtstraum«), ab Herbst in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Musikrat Opernkurse und künftig am Vorabend jedes Sinfoniekonzerts auch entsprechende, aber niedrigschwellige »Konzerte im Kleinformat«.