Corona-Virus fällt mit Wucht über Gießen her

Der November ist der Monat der Trauer - und liefert in diesem Jahr auch traurige Zahlen. Das Virus Covid-19 verbreitet sich rasend schnell in Gießen. Die Corona-Chronik.
Montag, 2. November : Es ist der Tag nach dem letzten Wochenende vor dem neuerlichen Teil-Lockdown mit Schließung der Gaststätten, Kinos, Theater und Fitnessstudios. Vor den Restaurants haben sich vor allem am Samstag teilweise Schlangen von wartenden Gästen gebildet, die noch einmal ausgehen wollen. »Die zwei Wochen zuvor war es ruhig, seit Freitag ist Chaos«, sagte »Geschmacksverkehr«-Betreiber Dimitri Skartsanis. Die Zahl der aktiven Corona-Fälle steigt in Gießen binnen eines Tages um über 30 auf 224.
Dienstag, 3. November: Dietrich Faber lebt vom Verkauf seiner Bücher, aber auch von Lesungen und Bühnen-Auftritten - und vom Kontakt mit seinem Publikum. Trotzdem hadert er nicht mit dem Teil-Berufsverbot: »Es ist leider unser Pech und nun mal nicht von der Hand zu weisen, dass Menschen bei Veranstaltungen in größerer Anzahl aufeinandertreffen, Hygienekonzepte hin oder her.«
Donnerstag, 5. November: Hü und hott bei den Corona-Bestimmungen. Die Stadt schließt auf Grundlage der neuesten hessischen Corona-Verordnung die Anlagen für Vereins- und Freizeitsport - und öffnet sie wenige Tage später wieder, nachdem das Land seine Entscheidung rückgängig gemacht hat.
Samstag, 7. November: Im GAZ-Interview mit Prof. Werner Seeger, dem ärztlichen Geschäftsführer des Uniklinikums, wird deutlich, dass nicht die Zahl der Intensivbetten oder der Geräte das Problem ist, sondern das Personal. »Es hilft nichts, Betten in Hallen zu stellen. Man muss das Personal haben.«
Im Seltersweg gilt ab sofort eine Maskenpflicht »light«, auf die mit Plakaten hingewiesen wird. Der Empfehlung wird ein Monat später die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes folgen.
Montag, 9. November : Innerhalb von einer Woche hat sich die Zahl der aktiven Corona-Fällen im Landkreis Gießen mehr als verdoppelt und steigt von 650 auf über 1260 aktive Fälle. In Lollar steigt die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz auf den Rekordwert von 708.
Dienstag, 10. November: Des einen Leid, der anderen Freud: Da die Gaststätten dicht sind, überleben die meisten Martinsgänse sie erste Gansessen-Welle. Im Kronauer Hof im Salzbödetal mit der größten Gänsezucht der Region setzt man auf Weihnachten.
Für die Mitarbeiter des Gießener Uniklinikums ist es ein Schlag ins Gesicht. Für Enttäuschung und viel Kritik sorgt die Systematik bei der Auszahlung der staatlichen Corona-Prämien an Krankenhäuser und Kliniken. Da am UKGM die besonders schweren Fällen behandelt werden, aber insgesamt weniger, fallen die Uniklinik und das hochbelastete Pflegepersonal durchs Raster. Die Gewerkschaft Ver.di vermisst ein »Mindestmaß an Wertschätzung« - bei Staat und dem privaten Eigentümer, der nicht einspringen will.
Mittwoch, 18. November: Der Vortrag von RKI-Chef Lothar Wieler an der Universität zur Corona-Strategie findet nur virtuell statt. Obwohl Wieler gar nicht in Gießen ist, veranstalten zehn sogenannte »Querdenker« einen Mahngang durch die Innenstadt, begleitet von einem ebenfalls überschaubaren Gegenprotest linker Gruppen.
Donnerstag, 19. November: Zwischen März und November haben die Ordnungsämter in Stadt und Kreis 540 Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen die Bestimmungen zum Infektionsschutz eingeleitet. Die Sanktionen summieren sich auf 140 000 Euro, in 300 Fällen wurde schon gezahlt. Vorne mit 380 Fällen liegen Verstöße gegen das Abstandsgebot. Konfrontativ geht es selten zu. »Wirt sind eher das schlechte Gewissen, das an die Pflichten erinnert«, sagt Dirk Drebes vom Ordnungsamt der Stadt Gießen.
In Gießen eröffnen zwei private Corona-Testcenter an einer Tierarztpraxis zwischen Klein- und Lützellinden und an den Hessenhallen. Behördliche Zulassungen brauchen die Stationen nicht. Die Gewissheit über den eigenen Infektionsstatus kostet um die 80 Euro und wird von den Krankenkassen nicht beglichen.
Samstag, 21. November: In der fast leeren Osthalle wird wieder Profibasketball gespielt. Das erste Saisonspiel verlieren die 46ers gegen Ulm deutlich. Eine Botschaft macht den Fans Hoffnung: »Diese Saison würden wir notfalls ohne Zuschauer überstehen«, sagt Sportdirektor Michael Koch.
Mittwoch, 25. November: In den Altenheimen spitzt sich die Situation dramatisch zu. In Linden sind 30 Bewohner und Pflegekräfte infiziert. Leiterin Christa Hofmann-Bremer wendet sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit: »Alleine werden wir es nicht schaffen.« Wenige Tage später meldet die Einrichtung Maria Frieden in Gießen 17 Infektionen, zwei ohnehin schon sehr geschwächte Bewohnerinnen sterben. »Sie nicht an, sondern mit Corona gestorben«, betont Leiterin Lucia Bühler.
Freitag, 26. November: In Gießen gehen zwei Tage vor dem ersten Advent die Licher an. Die von den BID-Vereinen finanzierte Weihnachtsbeleuchtung der Innenstadt soll den Ausfall des Weihnachtsmarktes zumindest stimmungsmäßig ein bisschen ausgleichen. »Wenn wir die Licherketten im Januar abhängen, hängen wir hoffentlich auch dieses Jahr 2020 irgendwie ab«, sagte BID-Vorsitzender Heinz-Jörg Ebert.
Samstag, 28. November: An den Schulen hat sich mit dem Teil-Lockdown nichts geändert. Mit hohem Aufwand soll weiterhin der Präsenzunterricht gewährleistet werden. Das sorgt für Kritik, weil Elternvertreter dahinter auch Versäumnisse bei der Digitalisierung sehen. Sie sprechen von einer »Verherrlichung des Präsenzunterrichts mangels digitaler Alternativen«.
Fast 80 Corona-Patienten werden im Klinikum und »EV« behandelt, 34 von ihnen liegen auf der Intensivstation. Gegenüber dem Monatsbeginn entspricht das ist in etwa einer Verdoppelung.
Samstag, 28. November: Gute und schlechte Nachrichten aus dem Einzelhandel. Während das Modehaus Schlüter mitten in der Pandemie ein antizyklisches Zeichen setzt und zurück in den Seltersweg zieht, schließt die insolvente Schuhkette »CCC« ihre Filiale, »Leder-Meid« reduziert Verkaufsfläche.
Montag, 30. November: Ein trauriges Wochenende mit vier weiteren Corona-Toten liegt hinter den Menschen im Landkreis Gießen. 2269 Personen sind im Kreis infiziert, davon 827 in der Stadt Gießen. Zu den extrem schwer getroffenen Branchen zählen die Clubs und Diskotheken. Eyyup Kaya, Chef des Gießener »Admirals«, sieht die Lage nüchtern: »Wir öffnen erst wieder, wenn es einen Impfstoff gibt.« Die ersten Dezembertage bringen diesbezüglich einen Hoffnungsschimmer mit der Nachricht, dass in einem Möbelmarkt in Heuchelheim das Impfzentrum für den Kreis Gießen eingerichtet wird. Am 11. Dezember muss es betriebsbereit sein. Dort sollen täglich zwischen sieben Uhr morgens und 22 Uhr rund 1350 Menschen gegen das Corona-Virus geimpft werden. Angepeilt wird eine Impfrate von 60 Prozent, was im Landkreis Gießen 167 500 geimpften Personen entspricht.