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Vier Helden im Homeoffice

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Von: Karola Schepp

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Revolverheld mit Frontmann Johannes Strate (2. v. r.) freuen sich schon auf das Konzert auf dem Schiffenberg. © Red

Revolverheld-Sänger Johannes Strate schätzt den Schiffenberg als einen ganz besonderen Veranstaltungsort. Und seit dem Überraschungskonzert vom letzten Dezember auch die Gießener Fußgängerzone. Im August wird seine Band schon zum dritten Mal im Gießener Kultursommer auftreten. Welche Rolle dabei der Gießener Markus Pfeffer und das hiesige Publikum spielen, erzählt Strate im Interview.

Es ist noch nicht lange her, dass Revolverheld ein Überraschungskonzert in der Gießener Fußgängerzone gegeben hat. Wie haben Sie das erlebt?

Das war auch für uns wirklich etwas ganz Besonderes. Wir hatten ein paar Tage vorher in Hamburg bei einem Spaziergang festgestellt, dass wir alle noch nicht auf einem Weihnachtsmarkt waren. Da führte dann eines zum anderen: Hamburg war uns zu langweilig. Wir fragten uns, wo wir hinwollen und haben überlegt, wo im vergangenen Jahr die schönsten Konzerte waren. Und da kamen wir relativ schnell auf den Gießener Kultursommer. Wir haben einfach im Überschwang Markus (Kultursommer-Produktionsleiter Markus Pfeffer, Anm. der Redaktion) eine Nachricht geschrieben und jeder, der ihn kennt, weiß: Der ist genauso irre wie wir. Er hat gleich gesagt: ›Machen wir! Ich stelle Euch eine Bühne hin und sperre die Straße.‹ Schon einen Tag später hat er gefragt, wann wir kommen wollen. Und dann war alles total schön. Es war der letzte Schultag, alle hatten frei und Weihnachten stand vor der Tür. Die Leute hatten wahnsinnig gute Laune. Und wir auch. Es war einfach ein schönes, verfrühtes Weihnachtsgeschenk.

Dass da nicht nur Revolverheld-Fans vor Ort waren, war sicher eine Herausforderung?

Ich gehe fest davon aus, dass die Fußgängerzone an einem solchen Tag ohnehin voll gewesen wäre. Das war schließlich der Einkaufstag des Jahres. Es war schön, in manche Gesichter zu gucken, und die Gedanken zu erkennen: Ich stehe jetzt hier rum. Was passiert hier eigentlich? Aber ich hatte auch das Gefühl, dass doch der Ein oder Andere unsere Songs gut kannte.

Revolverheld wird nun zum dritten Mal beim Gießener Kultursommer auftreten. Wie kommt das?

Es ist schon eine sehr besondere Atmosphäre. Auf die Idee, da oben eine Bühne hinzustellen, würde nicht jeder kommen. Aber wie gesagt, der »Irre« Markus, macht das schon erfolgreich, seit vielen Jahren. Die Stimmung dort ist einfach wahnsinnig ausgelassen. Oft hat man als Musiker das Gefühl wenn man auf die Bühne tritt, dass das Publikum denkt: Jetzt entertain mich mal. Aber beim Gießener Kultursommer ist es anders: Du kommst auf die Bühne und die Leute rasten erst einmal aus. Es wirkt, als würden sie zeigen, wir haben auf jeden Fall eine coole Zeit und ihr Musiker könnt mitmachen. Und das löst aus, dass wir 150 Prozent geben.

So etwas hilft, dass nicht der zigste Auftritt zur Akkordarbeit wird.

So ist es. Wir sind natürlich im Sommer unterwegs und spielen fast jeden Abend ein sehr ähnliches Set. Aber wir erleben das Publikum immer sehr unterschiedlich. Manche sind eher abwartend, manche wahnsinnig euphorisch. Es ist jeden Abend anders. Bei uns ist auch für die Zeit zwischen den Songs nicht fest geplant, was wir sagen. Wir gehen auf die Leute ein. Wenn uns einer einen guten Weißwein auf die Bühne reichen möchte: gerne. Und wenn jemand meint, ich müsste mal hinten am Crêpes-Stand vorbeischauen und probieren, dann mache ich das auch gerne. Wir sind eine Band, gerade nach 20 Jahren, die es sehr mag, das Spontane eines Abends aufzunehmen.

Die Band gibt es schon seit über 20 Jahren. Da hat sich doch sicher die Dynamik im Team verändert.

Ja, klar. Vor 20 Jahren waren wir Anfang 20. Heute sind wir Familienväter und freuen uns trotzdem loszufahren, manchmal sogar noch ein bisschen mehr, wenn die Kinder zu Hause schlecht schlafen (lacht). Ich habe immer noch das Gefühl, wenn wir losfahren: Wir gehen auf Klassenfahrt. Das Euphoriegefühl ist nicht anders als vor 20 Jahren. Was uns verbindet ist, dass wir gerne auf der Bühne stehen und dabei Freude empfinden.

Sie kritisieren, dass Popmusik in Deutschland so etwas wie das ungeliebte Stiefkind sei. Klassik werde gefördert, Popmusik nicht. Gilt das auch für erfolgreiche Bands?

Das trifft auf alle zu. Natürlich ist es, wenn du als Musiker unbekannt bist, in allen Bereichen schwieriger. Aber allein bei der GEMA wird - absurderweise - unterschieden zwischen ernsthafter Musik (Klassik) und Popmusik. Es gibt die E- und die U-Musik. Unterhaltungsmusik kann aber auch sehr tiefgehend sein und Menschen berühren. Da finde ich die Unterscheidung schon sehr komisch.

Natürlich läuft es für uns jetzt gut. Veranstalter wollen uns buchen, zahlen gute Gagen. Aber wenn es darum geht, Förderungen zu bekommen oder Probemöglichkeiten, sind Popmusiker völlig auf sich allein gestellt. Das ist in Skandinavien ganz anders. Da kannst du Tourförderungen, Tourbusse beantragen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum schwedische Bands schon seit Abba oder Roxette auf der ganzen Welt bekannt sind. Einfach weil der Staat begriffen hat, dass Popmusik eben ein Kulturgut ist, das man auch exportieren kann. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Aber natürlich ist das aus meiner Warte nicht ein Beklagen, sondern nur ein Feststellen.

Revolverheld haben in der Corona-Zeit jede Chance für Auftritte genutzt: Autokino, Strandkorbkonzerte. Hat sich auch die Arbeit an sich verändert?

Ja, absolut. Wir haben, weil wir solche Auftrittssehnsucht hatten, jede Chance genutzt. Die Arbeit ist auf jeden Fall gleichzeitiger geworden und wir haben gelernt, auch remote zu arbeiten. Wir haben beispielsweise während der Pandemie einen Song produziert mit einem Sänger und Produzenten aus Nashville. Wir haben zusammen den Song geschrieben, produziert und fertig gemacht ohne dass wir uns jemals de facto getroffen haben. Und am Ende hat es jemand in Schweden gemischt. Das ist natürlich viel einfacher geworden, und man muss nicht mehr an einem Ort zusammenkommen und für teures Geld ein Studio mieten. Man kann es im Homeoffice einsingen. Das haben wir alle aus Corona gelernt: Wir sind flexibler geworden. Ich kenne Leute, die laden nicht mehr jeden zum Bewerbungsgespräch, sondern machen erst mal einen Call, bevor sie 50 Leute umsonst durch die Republik fahren lassen.

In einem Song auf dem Album »Neu erzählen« heißt es: »irgendwann kommen wir schon an«. Sind Revolverheld da angekommen, wo sie hinwollten?

Ich glaube wir sind immer noch gut unterwegs. Und das macht uns auch Spaß. Wir haben mit jedem Album, jedem Song versucht, uns weiterzuentwickeln, aus Bestehendem auszubrechen. Das ist auch das, was mir Spaß macht. Wir sind einfach unterwegs und irgendwann kommen wir an.

Für den Kultursommer ist die ein oder andere Livepremiere angekündigt. Worauf dürfen wir uns freuen?

Wir schreiben täglich neue Songs und haben natürlich Lust, dem Gießener Publikum auch ein paar neue Songs zu zeigen.

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