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Verlegung in Klinik vermeiden

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Von: Christine Steines

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Beistand in der Sterbephase. Die meisten alten Menschen sterben im Krankenhaus - oft widerspricht das den Wünschen der Patienten. © Red

Je besser Bewohner von Pflegeheimen sowie Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte auf das Lebensende vorbereitet sind, desto größer ist die Chance, dass »gutes Sterben« gelingt. AWO-Geschäftsführer Jens Dapper schilderte im Seniorenbeirat am Beispiel des Albert-Osswald-Hauses, wie hilfreich ein vorausschauendes Konzept ist. »Es ist kein schönes, aber ein extrem wichtiges Thema«, sagt er.

Eigentlich ist alles geklärt. Die Bewohnerin des Altenpflegeheims hatte versichert, sie wolle an ihrem Lebensende nicht in ein Krankenhaus verlegt werden. Doch als der Zustand der Seniorin sich plötzlich verändert und sie unter akuter Luftnot leidet, ändert sich schlagartig die Situation: Die Angehörigen sind in großer Aufregung und fordern schnelle Hilfe, die Pflegekräfte möchten ebensowenig wie der Hausarzt einen Fehler riskieren. Sie alle sind in einem solchen Ausnahmezustand verunsichert. Schließlich wird doch der Notartzwagen gerufen, die alte Dame stirbt wenig später im Krankenhaus. »Eine solche Situation wollen wir vermeiden«, schildert Dapper. Möglich werde dies, indem alle Beteiligten sich frühzeitig damit auseinandersetzen, was in der Sterbephase zu tun ist.

Über das Sterben sprechen

»Wir brauchen einen offenen Umgang mit dem Tod«, sagt Dapper. Die Bewohner sollten möglichst bereits kurz nach ihrem Einzug ins Heim ihre Vorstellungen äußern. Zudem sei es unerlässlich, die Angehörigen mit ins Boot zu holen. Wichtig sei zudem, den Pflegekräften die Unsicherheit zu nehmen. Je besser sie geschult seien, desto größer sei die Chance, dass sie souverän und professionell reagieren könnten. Sie müssten in die Lage versetzt werden, in Abstimmung mit den Hausärzten bzw. einem Palliativ-Team das Richtige zu tun. Der AWO-Stadtkreis hat sich in den vergangenen Jahren an dem bundesweiten »Avenue-Pal-Projekt« beteiligt, bei dem unter Federführung von Prof. Wolfgang George (TransMit Institut für Versorgungsforschung) sowie mit Partnern wie z.B. dem UKGM, der Kassenärztlichen Vereinigung und der THM Konzepte erarbeitet wurden, deren Ziel es ist, die Sterbesituation in Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Absicht der Initiatoren ist es, die Erkenntnisse aus der »Modelleinrichtung« Albert-Osswald-Haus auch anderen interessierten Trägern zur Verfügung zu stellen.

In Gießen befinden sich bereits einige Pflegeeinrichtungen im Austausch miteinander, erklärte Dapper. Auch die Stadt, ergänzte Sozialdezernent Francesco Arman in der Sitzung des Seniorenbeirats, unterstütze den Dialog über das Lebensende und ermutige dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Das städtische Gremium hat sich im vergangenen Jahr das Hospiz Samaria angeschaut und sich über die örtliche Bestattungskultur informiert. Diesen Weg wolle man auch in Zukunft fortsetzen.

Aktuell sterben etwas 50 Prozent der alten Menschen im Krankenhaus, etwa 30 Prozent im Pflegeheim (davon ca. drei Prozent in Hospizen), aber nur ungefähr 20 Prozent zu Hause. Fachleute gehen davon aus, dass ein Fünftel der betroffenen Patienten ihren Ort des Sterbens nicht wunschgemäß wählen kann. Um dies im Bereich der Pflegeheime zu ändern, wurden Leitlinien entwickelt, die als Richtschnur für alle Beteiligten gelten.

Darin geht es unter anderem darum, Risikofaktoren zu erkennen, die dazu führen, dass ein Mensch entegegen der Vereinbarung zum Schluss doch noch in ein Krankenhaus verlegt wird. Zu diesen Risiken gehören medizinische und pflegerische Aspekte wie z.B. Luftnot oder Schmerzen. »Das Ziel ist am Ende des Lebens nicht die Heilung, sondern die Linderung der Symptome«, erinnert Dapper.

Ein entscheidender Risikofaktor sei das Personal, räumte Dapper ein. Zu wenig oder nicht ausreichend qualifiziertes Personal sei in in vielen Fällen der Grund dafür, dass es zu einer Verlegung in die Klinik komme. »Wenn am Wochenende wenig Leute da sind, steigt die Gefahr, dass doch die Notrufnummer gewählt wird«, weiß der AWO-Chef. Auch im Albert-Osswald-Haus kenne man diese Personalnöte und ihre Konsequenzen. Auf der anderen Seite habe man die Erfahrung gemacht, dass die Mitarbeiterinnen großes Interesse daran hätten, ihre Kenntnisse in der Sterbebegleitung zu vertiefen. »Niemand will mit dem Zweifel nach Hause gehen, am Sterbebett vielleicht einen Fehler gemacht zu haben«.

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