Unverzichtbarer Teil unserer Kultur

Keinen passenderen Ort als den Alten Friedhof gab es für diese Unterzeichnung. Um den Wert der Friedhöfe für die Menschen und unsere Gesellschaft zu unterstreichen, ist auch Gießen der »Charta Friedhofskultur« beigetreten.
Im Beisein von Gartenamtsleiter Thomas Röhmel und Abteilungsleiter Friedhöfe Roland Kauer unterzeichneten Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und Stadträtin Gerda Weigel-Greilich die Urkunde der Charta Friedhof. Dietgard Wosimsky unterschrieb die Urkunde für den Freundeskreis Alter Friedhof, der ebenfalls der Charta beigetreten ist. Es handelt sich um eine bundesweite Aktion, der am gleichen Tag bundesweit viele Kommunen, Institutionen und Vereine folgten.
Die Charta definiert ein gemeinsames Begriffsverständnis für den öffentlichen Diskurs zum Thema Friedhofskultur. Nicht zuletzt zeigt sie den großen Facettenreichtum dieses Kulturguts auf. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher zeigte sich »glücklich über die Charta.« Der Friedhof sei ein kultureller Ort, die Wünsche zur Bestattung würden individueller. Dies sei einerseits eine private Angelegenheit, aber auch »wichtig für unsere Gesellschaft«. In Gießen bleibt auch bei einer anonymen Bestattung, bei der die Pflege entfalle, durch eine Plakette ein Ort des Trauerns. Für Stadträtin Gerda Weigel-Greilich ist ein Friedhof ein Ort der Besinnung und Rückzugsort, Feiern auf den Grünanlagen seien ein gesellschaftliches Tabu. Dagmar Klein vom Freundeskreis Alter Friedhof wies auf das Hinweisschild »Immaterielles Erbe Friedhofskultur« am Tor Licher Straße hin, das der Charta vorausgegangen ist.
Die Stadt bietet alle Bestattungsformen an, außer ein Kolumbarium (Urnenwand). Auf dem Neuen Friedhof am Rodtberg wird seit 1903 beigesetzt. Wer auf dem Alten Friedhof seine letzte Ruhestatt finden möchte, kann per Vertrag Pate werden und sichert sich damit das Recht auf eine Urnenbeisetzung. Weitere Friedhöfe befinden sich in allen Stadtteilen sowie im »Bestattungswald am Schiffenberg«.
Der Friedhof als Ort der Begegnung
In Deutschland engagieren sich zahlreiche Menschen für die Friedhofskultur. Viele hauptberuflich wie Friedhofsträger, Bestatter, Gärtner und Steinmetze, ebenso in Krematorien, bei Zulieferbetrieben oder im Denkmalschutz. Hinzu kommen sehr viele ehrenamtlich Tätige in Kirchengemeinden, Vereinen und Verbänden. Nicht zu vergessen Kulturschaffende, Mediengestalter oder Kulturvermittler.
Die Wissenschaft arbeitet in verschiedenen Fakultäten am Thema, aus kulturwissenschaftlichem, historischem, sozialem oder städtebaulichem Blickwinkel. Umweltschützer setzen sich für den Friedhof als Ort der Biodiversität und des Naturschutzes ein. Und nicht zuletzt engagieren sich politisch Tätige für den Friedhof, in Städten und Gemeinden genauso wie auf Landes- und Bundesebene. So unterschiedlich die Hintergründe, Haltungen und Interessen sein mögen, sie eint das Bewusstsein, dass der Friedhof unverzichtbarer Teil unserer Kultur ist. Die Unterschiedlichkeit der Kräfte ist ein Spiegel des Facettenreichtums, zu der auch gegenseitige Wertschätzung gehört. Die »Charta Friedhofskultur« will ein gemeinsames Begriffsverständnis für den öffentlichen Diskurs definieren, den Facettenreichtum dieses Kulturguts aufzeigen und ein Zeichen für den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Friedhöfe setzen. Die Friedhofskultur in Deutschland als immaterielles Kulturerbe im Sinne der UNESCO zu erhalten, an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten und weiterzuentwickeln, ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, heißt es in der »Charta«. Und weiter: Als sich selbst stets fortschreibende Geschichtsbücher seien Friedhöfe von hoher historischer Bedeutung und denkmalgerecht zu pflegen. Sie seien als Orte des gemeinsamen Erinnerns unersetzbare soziale Räume und identitätsstiftend in unserer pluralistischen Gesellschaft.
Die Charta-Urklunden sind in Kürze vor Ort nachlesbar: die städtische am Rodtberg-Friedhof, die des Freundeskreises in der Kapelle des Alten Friedhofs. Weitere Infos: www.charta-friedhofskultur.de www.kulturerbe-friedhof.de