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„Es ist wirklich ein Aufbruch“: Millionenhilfe für Uniklinik Gießen

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Von: Kays Al-Khanak

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Prof. Werner Seeger ist seit 2006 Ärztlicher Geschäftsführer des UKGM. © Red

Das Uniklinikum Gießen und Marburg bekommt in den nächsten 10 Jahren eine Unterstützung von 850 Millionen Euro.

Gießen/Marburg – Der Ärztliche Geschäftsführer der Universitätsklinik Gießen und Marburg, Prof. Werner Seeger, ist im Interview mit der Gießener Allgemeinen erleichtert, dass es zur Einigung gekommen ist. Er betont aber, dass der Sonderstatus des UKGM, was die Beteiligung an der Finanzierung von baulichen Arbeiten angeht, weiterhin auf den Prüfstand gehört.

Herr Prof. Seeger, wie bewerten Sie als Ärztlicher Geschäftsführer der Uniklinik die Einigung, die Land, UKGM und Rhön AG mit dem Zukunftspapier Plus erzielt haben?

Ich bin, wie wohl jeder nachvollziehen kann, sehr erleichtert, dass die Einigung zwischen dem Land, UKGM und Rhön nach vielen langen Verhandlungsrunden endlich zustande gekommen ist. Und ja, es ist wirklich ein Aufbruch, weil wir für einen Zeitraum von jetzt zehn Jahren klare Zusagen für die Durchführung notwendiger Baumaßnahmen und die Anschaffung von medizinisch unerlässlichen neuen Techniken durch das Land Hessen haben.

Darüber hinaus gibt es viele weitere wichtige Aspekte - zum Beispiel die Arbeitsplatzsicherung betreffend und den Tatbestand, dass von uns am UKGM erarbeitete Gewinne wirklich am UKGM verbleiben und nicht abgeführt werden, solange diese Vereinbarung besteht.

Sie haben die Situation des Klinikums seit der Privatisierung kritisch begleitet. Wie bewerten Sie persönlich mit Blick auf die Historie seit der Privatisierung die Einigung?

Man muss sich immer wieder bewusstmachen, vor welchem Hintergrund die Privatisierung der Universitätskliniken in Gießen und Marburg in die Wege geleitet wurde. Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre herrschte die aus heutiger Sicht komplett irrige Vorstellung, dass wir zu viele Ärzte ausbilden und somit die Anzahl der Universitätskliniken reduziert werden müsse. Weil der größte Investitionsstau in Gießen war, bestand ein quasi parteiübergreifender Konsens, »Gießen müsse man schließen«.

Vor dem Hintergrund war die dann 2005/2006 vollzogene Privatisierung der dann zusammengeführten beiden Universitätskliniken in Gießen und Marburg der einzige Ausweg, den Verlust der Universitätsmedizin in Gießen zu vermeiden. Dass dieses in den Verhandlungen dann mit der Auflage verbunden wurde, im Gegensatz zu allen anderen Universitätskliniken sowie auch allen anderen Krankenhäusern in Deutschland keine öffentlichen Mittel mehr für Gebäude und Geräteinvestition zu bekommen, war ein entscheidender Geburtsfehler dieser Vereinbarung.

Millionenhilfe für Uniklinik Gießen: „Fundamentaler Fortschritt“

Ein Fehler, der bis heute deutliche Auswirkungen auf das UKGM hat…

Durch Kreditfinanzierungen und ein extremes Engagement aller UKGM-Mitarbeiter haben wir auf dieser Basis in Gießen einen Neubau schaffen und universitäre Spitzenmedizin für die von uns versorgten Patienten weiterentwickeln können. Aber es war von Anfang an klar, dass eine Rückkehr zu der Berechtigung, ebenfalls öffentliche Mittel für Bau und Geräte zu bekommen, unverzichtbar ist. Dies ist jetzt nach 18 Jahren Wartezeit endlich erreicht worden. Insofern ist ein langer Bogen geschlossen worden.

Wie haben Sie die Verhandlungen wahrgenommen, die zwischenzeitlich in eine Sackgasse geraten waren? Unter anderem hatten die Klinikdirektoren öffentlich auf eine Einigung zwischen Land und Rhön gedrängt.

Aufgrund der Vorgeschichte und der unterschiedlichen Wahrnehmungen der getroffenen Vereinbarungen zur Privatisierung und der daraus resultierenden Konsequenzen waren in den Verhandlungen zwischen dem Land Hessen und Rhön/Asklepios weite Brücken zu schlagen, um einen für alle Seiten akzeptablen Weg zu finden.

In dieser Situation war es hilfreich, dass alle Klinikdirektoren in Gießen und Marburg in gemeinsamen öffentlichen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht haben, dass die Verhandlungsschwierigkeiten kein Grund dafür sein dürfen, die Verhandlungen abzubrechen. Eine ganz wichtige vermittelnde Rolle für den Erfolg spielte insbesondere auch Prof. Grimminger, den ich an dieser Stelle explizit nennen möchte. Glücklicherweise haben diese gemeinsamen Anstrengungen am Ende wirklich zu dem jetzt erreichten Verhandlungserfolg geführt.

Uniklinikum Gießen
Blick auf das Hauptgebäude des Universitätsklinikums in Gießen. © Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Was sind für Sie die für das UKGM wichtigsten Punkte aus dem Zukunftspapier, die die Lage der Klinik zukünftig verbessern wird?

Es ist ein fundamentaler Fortschritt, dass nun für ein Zeitraum von zehn Jahren Mittel des Landes Hessen für Gebäudeerneuerung beziehungsweise Neubaumaßnahmen und Neubeschaffung medizinischer Geräte für beide Kliniken in Gießen und Marburg zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus wird die sogenannte Trennungsrechnung weitergeführt, das heißt, an einer für alle Seiten hilfreichen Einigung hinsichtlich der Kosten, die durch die Medizinstudentenausbildung im klinischen Alltag entstehen, wird festgehalten. Wichtig ist zudem, dass betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen bleiben, ebenso die Ausgliederung von Betriebsteilen. Weiterhin ist sehr wichtig, dass Gewinne, die das UKGM erwirtschaftet, im Klinikum bleiben und nicht abgeführt werden, um die Arbeitsbedingungen an den beiden Standorten weiter zu verbessern.

Zudem gibt es eine Vereinbarung, wie in Zukunft Berufungen von neuen Professorinnen und Professoren besser abgestimmt durchgeführt werden können. Schließlich ist auch die Vereinbarung über innovative Joint Ventures des Klinikums ein erheblicher Fortschritt: Es werden Gelder zur Verfügung gestellt, um neue Forschungsergebnisse aufzugreifen und deren translationale Nutzung, das heißt die Weiterführung in konkrete Verbesserungsmaßnahmen für klinische Anwendungen, mit erheblichen Mitteln zu fördern. Insgesamt also ein sehr positives Ergebnispaket.

Sehen Sie es als Problem an, dass das UKGM weiterhin seinen Anteil zur Krankenhaustechnik und zu Bauvorhaben leisten muss, wo dies doch dem Grundsatz der dualen Krankenhausfinanzierung widerspricht? Rhön springt erst ein, wenn die Mittel des UKGM nicht ausreichen.

Diesen Aspekt habe ich gemeint, als ich im Pressegespräch von einem »Aufbruch mit Anstrengung« gesprochen habe. In der Tat würde die duale Krankenhausfinanzierung erwarten lassen, dass die notwendigen Baumaßnahmen und Erneuerungen der medizinischen Gerätetechnik komplett aus öffentlicher Hand finanziert werden, unabhängig davon, ob es sich um Universitätskliniken oder andere Krankenhäuser, um öffentliche Träger, gemeinnützige Träger oder private Trägerschaft handelt.

Das wird mit dem Begriff der »dualen Krankenhausfinanzierung« abgebildet, weil eben die Krankenkassen die Patientenbehandlung, nicht aber die genannten Investitionsmittel finanzieren. Hieraus resultiert, dass der gegenwärtig erreichte Sonderstatus des UKGM, zwar nicht mehr alle Mittel, aber doch ein Drittel der Investitionsmittel selber aufbringen zu müssen, irgendwann zukünftig in eine gleichberechtigte komplette Finanzierung dieser Investitionsmittel wie an allen anderen Universitätskliniken auch überführt werden muss.

Wie ist die Einigung von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgenommen worden?

Ich glaube, dass jeder Mitarbeiter gespürt hat, dass eine Zukunftssicherung und eine klare Vereinbarung darüber, wie diese finanziell abgebildet werden kann, dringend notwendig ist. Insofern ist bei den allermeisten Mitarbeitern schon eine große Erleichterung zu spüren, verbunden auch mit der Hoffnung, dass sich die Vereinbarung in merkbar verbesserte Arbeitsbedingungen umsetzen wird.

Das Interview führte Kays Al-Khanak.

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