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Ukrainische Flüchtlinge: Keine Bevorzugung in Gießen bei Kitaplatz

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Von: Karen Werner

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Eigentlich haben alle Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesstätte. Auf den gewünschten Platz warten viele Familien aber monatelang. SYMBOLBILD: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Geflüchtete Kinder aus der Ukraine sollen in Gießen in Kontakt zu Gleichaltrigen kommen. Die Kita-Situation ist allerdings ohnehin schon angespannt.

Gießen – Wer vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet ist, soll unterstützt werden, auch bei der Kinderbetreuung. So weit das hehre Ziel. In der Praxis ist die Suche nach einem Kitaplatz nicht so einfach. Das zeigt das Beispiel einer Ärztin aus Kiew, die möglichst schnell in Gießen Deutsch lernen und arbeiten möchte.

Dima tobt über den Spielplatz, rennt zu seiner Mutter, zieht an ihrer Hand. »Für ihn wäre es gut, wenn er in den Kindergarten geht. Und ich könnte Deutsch lernen«, sagt Masha auf Englisch. Seit vier Wochen lebt die Ukrainerin mit ihrem dreijährigen Sohn in Gießen. Die Ärztin möchte arbeiten - doch bisher hat sie keinen Kitaplatz.

Geflüchtete aus der Ukraine in Gießen: Größte Hürde ist der Kitaplatz

Masha und Dima heißen eigentlich anders. Aus Furcht vor den Russen will die 31-Jährige weder mit ihrem echten Namen noch mit Bild an die Öffentlichkeit gehen. Auch ihr Mann, der in der Ukraine Berufssoldat ist, hat Bedenken.

Gleich nach Kriegsbeginn flüchteten Mutter und Kind. Masha wusste von Kollegen, dass sie als Ärztin hier gute Perspektiven hat. Zwei Monate wartete sie in Polen, bis sie eine Unterkunft in Deutschland fand. Über ein Internetforum landete sie im Gästezimmer eines Ehepaars in der Gießener Weststadt.

»Die Leute hier sind sehr freundlich«, betont die 31-Jährige. Ihre Gastgeber sowie deren Bekannte haben großzügig Kleidung und Spielzeug gespendet. Eine dauerhafte Wohnung in Gießen ist in Sicht. Die Qualifikationen der Gynäkologin, die in Kiew in einem Krankenhaus gearbeitet hat, werden hier voraussichtlich anerkannt. Die größte Hürde für eine zügige Integration ist indes der fehlende Betreuungsplatz für Dima. Dabei hat die Mutter, da sie mit Wohnsitz in Gießen gemeldet ist, einen Rechtsanspruch darauf.

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Der Dreijährige wurde über das Internetportal »Little Bird« angemeldet. Parallel wandten sich die Gastgeber an eine Kindertagesstätte in der Nachbarschaft sowie an eine weitere, in der die Kinder einer Freundin untergebracht sind. Zunächst ohne Erfolg. Es gibt überall Wartelisten für mehrere Monate. Nur durch eine Verkettung von Zufällen bekam Dima dann doch eine Zusage für einen Platz ab September.

Dabei hat Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) Anfang Mai den Aktionsplan »Solidarität mit der Ukraine - Frieden in Europa - Hessen hilft« vorgestellt und betont: »Es ist wichtig, dass die Kinder mit Gleichaltrigen altersgerecht betreut werden und so auch die deutsche Sprache lernen.« Für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine könnten Kita-Gruppen vorübergehend überbelegt werden. Das Land fördere zudem finanziell das Deutschlernen sowie die Beratung für die Arbeit mit Kindern mit Fluchthintergrund.

Die Stadt Gießen will die Kriegsflüchtlinge vorerst auch in neuen Spielkreisen auffangen. Bei der Vergabe der insgesamt 3600 Kitaplätze will sie Kinder aus der Ukraine grundsätzlich nicht bevorzugen. Gebäude und vor allem Personal sind knapp. Rechnerisch fehlen rund 450 Plätze, besonders viele in der West- und Nordstadt. Der Rechtsanspruch für alle könne theoretisch erfüllt werden, allerdings nicht unbedingt am gewünschten Ort, heißt es in einer Übersicht, die das Jugendamt im März im Stadtparlament vorlegte.

Kindern aus der Ukraine sollen Kontakte zu Gleichaltrigen aus Gießen ermöglicht werden

Magistratssprecherin Claudia Boje erläutert auf GAZ-Anfrage, derzeit seien in Gießen (ohne Erstaufnahmeeinrichtung) 62 ukrainische Kinder unter sechs Jahren gemeldet. »Uns erreichen nur sehr vereinzelte Anfragen« nach Kitaplätzen. Diesen wenigen Kindern habe man Angebote gemacht. Die »Little-Bird«-Registrierung für Dima ist dabei anscheinend nicht mitgezählt.

Um den Neuankömmlingen schnell Kontakte zu Gleichaltrigen zu ermöglichen, setze die Stadt auf zusätzliche, niedrigschwellige Angebote in Form von Spielgruppen oder kleinen Betreuungsangeboten. Das Jugendamt sehe sich dabei als »Ermöglicher«. Erste Gruppen gebe es bereits (mehr im Kasten).

Voraussichtlich noch Jahre in Gießen: Rückkehr nach Kiew vorerst unmöglich

»In der Presse hört sich alles gut an, in der Praxis bekommt man Steine in den Weg gelegt«, sagt eine Kita-Leiterin, die nicht genannt werden will. Angesichts des Personalmangels gebe es an vielen Stellen - vom Jugendamt über das Team bis zu den Eltern - Bedenken gegen die Überbelegung einer Gruppe. Das Land mahne, Wartelisten zu berücksichtigen, auf denen Familien oft monatelang stehen. Es sei unklar, wie viel Betreuung die kleinen Ukrainer brauchen.

Masha hofft auf einen Platz für Dima möglichst bald, »egal wo«. Wie lange sie in Deutschland bleiben will? »Mindestens ein Jahr, vielleicht mehrere«, glaubt die junge Frau. Ihr Mann, Familie und Freunde berichteten von ständigem Sirenenalarm und Zerstörungen. Ein normales Leben in Kiew werde wohl noch sehr lange unmöglich sein. (Karen Werner)

Auch für Schulkinder aus der Ukraine ist eine Integration in das Schulsystem in Gießen schwierig. Die Bürokratie bereitet Geflüchteten große Hürden.

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