Gießener Bahnhof: Tunnel bis zur Lahnstraße?

Am Gießener Bahnhof endete vor zehn Jahren eine lange peinliche Ära mit der Einweihung einer neuen Unterführung. Ein Durchgang nach Westen freilich wurde damals wieder zugeschüttet. Wird er in absehbarer Zukunft wieder geöffnet?
Die ersten Schritte in den neuen Wohnort führen durch einen feuchten, düsteren, miefenden Tunnel. In den Fliesenwänden klaffen Lücken, die bröselnde Decke ist mit rohen Holzbohlen verkleidet. Generationen von Studierenden, Besuchern und anderen Neuankömmlingen gewannen einen schockierenden ersten Eindruck von Gießen - weil sie mit dem Zug eingetroffen waren. Heute müssen sich die Gießener nicht mehr schämen, wenn sie Gäste im Bahnhof empfangen. Vor zehn Jahren wurde die neue Unterführung eröffnet - leider ohne Ausgang zur Lahnstraße. Aber das könnte sich bald ändern.
»Es war ein Fehler, die Öffnung zuzuschütten«, bedauert Stadträtin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) rückblickend. Der lasse sich wiedergutmachen, wenn auch teuer bezahlt. Statt zwei Millionen Euro, die damals die Weiterführung gekostet hätte, würden nun schätzungsweise sechs Millionen fällig. Dabei habe die Stadt weniger Gestaltungsspielraum bei den baulichen Details.
Für die Grünen habe die Infrastrukturmaßnahme »höchste Priorität«, es liefen bereits Gespräche mit der Bahn, sagt Weigel-Greilich. Finanziert werden könnte der Durchgang mit einem weiteren Investitionsprogramm, das bereits in Sicht sei. »Wenn es kommt, müssen wir mit einer fertigen Planung bereitstehen.«
Auf die Frage, wie wahrscheinlich eine Realisierung ist, sagt die Politikerin: »Für mich hundertprozentig.« Schon in drei Jahren könne Baubeginn, in fünf Jahren Einweihung sein. Zugleich räumt sie ein, dass Partner in der SPD/CDU/Grüne-Koalition andere Schwerpunkte setzen.
Gießener Bahnhof: Durchgang kommt »zu 100 Prozent«
Die Deutsche Bahn hatte die Unterführung 2009 zunächst durchgehend angelegt und die Ausfahrt Richtung Westen für ihre Baufahrzeuge genutzt. Das Angebot der DB, dort einen regulären Ausgang anzulegen, lehnte die Stadt ab - unter anderem, weil die Fläche dort einer Bahn-Tochterfirma gehörte. Für diese Entscheidung »gab es sachlich gute Gründe«, sagt Weigel-Greilich, »trotzdem war sie falsch«. Schließlich gab es schon damals die Idee eines Fernbusbahnhofs nahe dem Parkhaus. Auch eine Entlastung des Bahnhofsvorplatzes vom Bus-Nahverkehr war ein gutes Argument. Mittlerweile stehen jenseits der Gleise das Jobcenter und mehrere Apartmenthäuser, die Lehrkräfteakademie des Landes könnte folgen.
Auch ohne Durchgang zur Lahnstraße indes war die Einweihung im Sommer 2010 »ein Riesenereignis und hatte große Bedeutung für die Menschen«, erinnert sich Weigel-Greilich. Auf Uneingeweihte mag der Durchgang schmucklos wirken. Wer sich an die alten Zeiten erinnern kann, freut sich über das helle, saubere, großzügige Ambiente sowie die Barrierefreiheit unter wie über der Erde.
Denn die Unterführung war nur ein Teil einer umfassenden Modernisierung des Gießener Bahnhofs. Ab dem Jahr 2008 hatte die Deutsche Bahn etwa 20 Millionen Euro investiert. Bahnsteige wurden erhöht, die Dächer erneuert, die Empfangshalle ansprechender gestaltet. Die Stadt folgte mit der Sanierung des Bahnhofsvorplatzes in den Jahren 2013/14 und der historischen Treppe Richtung Alter Wetzlarer Weg 2017/18. In den Jahren 2015/16 baute die Bahn außerdem die ehemalige Gepäckabfertigung zum ansprechenden Nordflügel um.
All diese Neuerungen seien auch von der Justus-Liebig-Universität sehr begrüßt worden, betont Sprecherin Lisa Dittrich. »Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie unsere Studierenden kommen aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland. Um die besten Köpfe nach Gießen zu holen, schadet es nicht, von Anfang an einen guten Eindruck zu hinterlassen.« Zur »echten Willkommenskultur« trage vor allem auch das 2017 eröffnete Info-Center im Nordflügel bei. Diese gemeinsame Anlaufstelle von Hochschulen und Stadt erfreue sich großer Beliebtheit.