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Trennung nach 101 Jahren

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Für die Gießener Hütte in den Hohen Tauern wird ein neuer Pächter gesucht. © Guido Mark Tamme

Vor einem Jahr wurde »100 Jahre Pächterfamilie Baier« auf der Gießener Hütte gefeiert. Doch diese lange Tradition hat ein abruptes Ende gefunden: Der heimische Alpenverein sucht für die Saison 2023 einen neuen Pächter für die Hütte in Kärnten/Österreich. Was den Vorstand dazu bewogen hat, welche Bedeutung die Gießener Hütte hat und wie es dort weitergehen soll, erklärt der Gießener Sektionsvorsitzende Dr.

Ulrich Schlör.

Herr Schlör, unter heimischen Bergfreunden wurde schon länger gemunkelt, dass die Sektion unzufrieden ist mit der seit 2013 für die Hütte verantwortlichen Julia Baier, der Tochter des langjährigen Pächters Otmar Baier. Hat jetzt irgendetwas das Fass zum Überlaufen gebracht?

Nein, zugrunde liegt eine Summe von Vorkommnissen. Immer wieder wurden Absprachen mit dem Hüttenwartteam über organisatorische Abläufe nicht eingehalten. Das fünfköpfige Hüttenwartteam war sich lange uneins, wie weit die Geduld mit der Pächterin gehen soll. Jetzt aber haben unsere Experten dem Vorstand einstimmig empfohlen, einen Schlussstrich zu ziehen.

Gab es auch Beschwerden von Gästen der Gießener Hütte über die Pächterin?

Leider immer wieder. Beispielsweise wurde Gästen kein Essen serviert mit dem Argument, dass das Kind der Pächterin jetzt Mittagsruhe habe und deshalb kein Kochen möglich sei. Kürzlich wurde einem Gast die telefonische Buchung mit zum Teil beleidigenden Worten verweigert, weil man kein Personal habe und überfordert sei. In der Corona-Zeit wurden selbst einfachste Regeln missachtet und Gäste beschimpft, die sich an diese Regeln halten wollten.

Die Familie Baier gilt als gut vernetzt im Talort Malta. War das auch ein Grund dafür, mit der Trennung zu zögern? Oder waren auch die Einheimischen mit der Situation unzufrieden?

Auch die Sektion hat in den letzten Jahren ein sehr gutes Verhältnis zu diversen Verwaltungsgremien aufgebaut, um ein möglichst gutes Miteinander zu erzeugen. So sind die Mitglieder des Hüttenwartteams regelmäßig im Austausch mit der Gemeindeverwaltung oder dem Tourismusverband.

Die Gießener Hütte ist als eine der wenigen im Alpenraum nicht an ein elektronisches Buchungssystem angeschlossen. Warum nicht?

Dazu wäre ein Zugang zum Internet auch während der Öffnungszeiten der Hütte zwingend notwendig. Das ist uns bisher leider technisch nicht gelungen. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir das 2023 in Angriff nehmen können. Zudem muss leider gesagt werden, dass die Pächterin auf der bisherigen Reservierungstechnik über Telefon oder - außerhalb der Saison - über E-Mail bestand.

Die auf 2215 Metern und damit sehr hoch gelegene Gießener Hütte in den Hohen Tauern ist ja nur von Anfang Juli bis Ende September geöffnet. Von wem wird sie in dieser Zeit eigentlich wofür genutzt?

Die Hütte ist Ausgangspunkt für die Besteigung der Hochalmspitze, der Königin der Hohen Tauern. Da die Auffahrt zur Hütte auch mit Fahrrädern durch die Anrainer untersagt ist, wäre eine Besteigung an einem Tag mit Rückkehr ins Tal zu anspruchsvoll. Die Bergsteiger übernachten deshalb bei uns. Von der Hütte aus kann man außerdem sehr schöne hochalpine Wanderungen auf andere Berge wie die Schneewinkelspitze machen. Und sie bietet eine gute Ausgangsposition für den Übergang über die Mallnitzer Scharte zum Arthur-von-Schmid-Haus. In der Nähe der Hütte gibt es einen sehr »leichten« Zweieinhalbtausender und auch für Kinder gibt es vielfältige Freizeitaktivitäten.

Wie viele Gäste können auf der Hütte übernachten?

Wir haben 12 Betten in Zwei- und Vier-Bett-Zimmern. Dazu kommen 41 Lager in drei großen Schlafräumen und etwa 25 Notlager unter dem Dach. Für Schneetourengeher gibt es nebenan einen eigenständigen Winterraum mit 10 Lagern.

Ist eine solche Hütte, die zudem abseits beliebter Höhenwanderwege liegt, überhaupt wirtschaftlich zu betreiben, auch angesichts steigender Instandhaltungs- und Modernisierungskosten?

Durchaus. Wir können dabei auf das hervorragende Engagement vieler Helfer bei sogenannten Arbeitswochen bauen. Das erspart uns enorme Ausgaben, weil diese Helfer alle ehrenamtlich tätig sind und bei Aufgaben wie der kompletten neuen Schindelung der Hütte oder dem Austausch der Fenster nur Materialkosten entstehen, aber keine Arbeitskosten. Dazu kommt die Arbeit des ehrenamtlichen Hüttenwartteams, das alle verwaltungstechnischen sowie Anträge und Förderungen des Hauptverbandes oder auch des Landes Kärnten stemmt.

In den nächsten Jahren muss aber beträchtlich investiert werden.

Ja. Auf Druck des Landes Kärnten müssen wir die bisherige Klärgrube durch eine Kläranlage ersetzen. Weil unser Wasserkraftwerk wegen des schrumpfenden Gletschers immer weniger Schmelzwasser zur Stromerzeugung bekommt, werden wir eine Fotovoltaikanlage installieren. Auch beim Brandschutz und bei der Einrichtung spezieller Räume für das Personal gibt es Nachholbedarf.

Da kommen Kosten in sechsstelliger Euro-Größenordnung auf die Sektion zu, die ja noch einen großen Schuldenberg vom Bau der Kletter- und Boulderhalle hat. Könnte der Vorstand nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und die Hütte schließen?

Auf keinen Fall. Die Hütte ist seit fast 110 Jahren der ganze Stolz der Sektion, an dem wir mit Herzblut hängen. Außerdem will der Dachverband das bestehende Hüttennetz in den Alpen unbedingt erhalten. Deshalb werden auch anstehende Investitionen der Sektionen für ihre Hütten erheblich bezuschusst.

Also suchen Sie einen neuen Pächter bzw. eine Pächterin ab der Saison 2023. Wie sieht es da aus?

Wir haben inzwischen zwei Initiativbewerbungen bekommen. Diese Interessenten schauen wir uns nun genau an. Parallel wird die Stelle ausgeschrieben auf der Website des Dachverbands. Wir streben eine Veröffentlichung aber auch in der DAV-Mitgliederzeitschrift »Panorama«, durch die Gemeinde Malta und durch den Tourismusverband Maltatal an.

Bleibt die Hütte denn bis zum Saisonende geöffnet?

Nein, die Pächterin will zum 19. September schließen und dann ihre persönliche Habe ins Tal bringen.

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