Trauer einen Platz im Leben geben

Kinder und Erwachsene trauern anders. Aber sie brauchen manchmal einen Raum, an dem sie dieser Trauer einen Platz in ihrem Leben geben können - aber nicht müssen. Einen solchen Ort gibt es in der Rooseveltstraße: Das von Ehrenamtlichen geleitete Trauercafé »Sonnenpfad«.
Ronja Räubertochter« ist ein wunderbares Kinderbuch von Astrid Lindgren. An einer Stelle schreibt die schwedische Autorin: »Lange saßen sie dort und hatten es schwer, aber sie hatten es gemeinsam schwer und das war ein großer Trost. Leicht war es trotzdem nicht.« Ein Teil dieser Textpassage findet sich auch auf den mit einer Sonne und Wolken bemalten Flyern des Familien-Trauercafés »Sonnenpfad« unter der Trägerschaft des Gießener Vereins Eltern helfen Eltern. Ehrenamtliche geben hier Menschen an der Rooseveltstraße einen Ort, an dem sie einmal im Monat Trauer in ihr Leben lassen können - aber nicht unbedingt müssen.
Wie Menschen trauern, hat auch mit ihrem kulturellen Hintergrund zu tun: Weinen oder lächeln, Wehklagen oder bloß kein Aufhebens darum machen. Hierzulande, sagt Susanne Gastmann, sei Trauer noch immer ein Tabu. »Vor allem Kindern wird sie genommen«, sagt sie. »Aber auch Kinder wollen, dass ihre Eltern nicht weinen, sondern lachen.« Dabei, sagt Gastmann, sei Trauer die Lösung, um einen Verlust zu verarbeiten.
Seit September vergangenen Jahres gibt es das von Ehrenamtlichen getragene Trauercafé. Die erste Idee zu einem solchen Angebot, erzählt Gastmann, habe sie bereits im November 2020 gehabt. »Aber den Gedanken, dass so ein Angebot für Familien fehlt, hatten wir schon länger«, betont Brita Ratzel, Geschäftsführerin von Eltern helfen Eltern. »Es gibt tolle Angebote wie ›Charly & Lotte‹ in Wetzlar, aber etwas Niedrigschwelliges wie ein Café noch nicht.«
Das Trauercafé findet jeden vierten Samstag im Monat statt. Ab 16 Uhr trudeln die ersten Teilnehmenden ein, erzählt Gastmann. Pünktlich sein muss hier niemand - das würde dem entspannten Café-Charakter widersprechen. Es gibt Kaffee und Kuchen, den die Ehrenamtlichen zuvor backen. Ab 16.30 Uhr fängt in einem Nebenraum das einstündige Programm für die Kinder an. Anschließend wird gemeinsam aufgeräumt und in einem Abschlusskreis das Treffen um 18 Uhr beendet. Mitmachen können maximal fünf Erwachsene und deren Kinder; begleitet werden sie von jeweils zwei Ehrenamtlichen.
In der Regel sind es Mütter, die gemeinsam mit ihren Kindern teilnehmen. Oft werden sie von Kitas, Schulen oder Kirchengemeinden an das Angebot des Vereins vermittelt. Wer kommt, muss nicht unbedingt einen geliebten Menschen verloren haben. Es kann auch ein verstorbenes Haustier sein. »In so einer Situation lernen Kinder, was der Tod bedeutet«, sagt Ratzel. »Sie verstehen, dass er zum Leben gehört.« Gastmann nennt das Beispiel einer Familie, deren Kaninchen aus dem Garten gestohlen wurden und nie wieder aufgetaucht sind. »Die Trauer der Kinder war groß, und der Vater empfand das Eindringen in den und den Diebstahl aus dem Garten als sehr belastend.« Für all diese Menschen ist im Trauercafé ebenso Platz wie für Menschen, die um ihre Eltern, Partner oder Freunde trauern.
Café ist keine Selbsthilfegruppe
Was Gastmann wichtig ist: Es muss bei den Treffen nicht um Trauer oder Tod gehen. »Wir sind keine Selbsthilfegruppe, sondern eine Gruppe, an der jeder andocken kann.« Wer will, wird auf weitere Angebote im »Trauernetzwerk« hingewiesen - zum Beispiel an den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst oder die Selbsthilfegruppe für Trauernde Eltern. Die Ehrenamtlichen, sagt Ratzel, übten keinen Druck auf die Teilnehmenden aus: »Wenn jemand nicht reden will, muss er das auch nicht. Niemand wird gedrängt.« Gastmann ergänzt: »Unser Grundgedanke lautet: Niemand ist alleine.« Gerade das sei eine wichtige Stütze für Trauernde. Sie sähen, dass es manchmal ein ganzes Leben brauche, um einen Verlust zu verarbeiten.
Die Ehrenamtlichen - sieben Frauen und ein Mann im Alter von 44 bis 75 Jahren - haben vor Beginn des Trauercafés eine über das Freiwilligenzentrum organisierte Fortbildung absolviert. Denn, das betont Ratzel: »Sie kochen hier nicht nur den Kaffee.« Es handelt sich um einen festen Stamm von Freiwilligen; wer noch mitmachen will, ist dennoch willkommen. Sie treffen sich einmal im Monat, um das letzte Treffen Revue passieren zu lassen und das nächste vorzubereiten. Und zweimal im Jahr gibt es eine Supervision. Dieser Zusammenhalt, sagt Gastmann, sei wichtig. »Wir helfen Menschen dabei, Trauer einen Platz in ihrem Leben zu geben, und das geht nur im Team. Wir machen das zusammen.«