»Tier-Retouren« belasten das Tierheim in Gießen immens
Das Tierheim in Gießen gerät massiv unter Druck. Immer mehr Menschen schaffen sich unüberlegt Tiere an und wollen sie dann wieder loswerden.
Gießen – Wenn Sie ihn nicht nehmen und der Hund morgen mein Kind beißt, sind Sie schuld. Wenn Sie ihn nicht nehmen, lasse ich ihn einschläfern. Wenn Sie ihn nicht nehmen, setze ich ihn aus. - Immer öfter hört Astrid Paparone, die Vorsitzende des Tierschutzvereins in Gießen, solche Sätze. Die Forderungen werden immer dreister, die Drohungen massiver. »Wir helfen, wenn wir können, aber wir haben nicht unbegrenzt Platz«, sagt Paparone.
Dass der Tierschutzverein eine private und keine kommunale Einrichtung ist, wissen die Leute nicht, es interessiert sie aber auch nicht. »Sie glauben, sie haben einen Anspruch auf sofortige Entsorgung«, ärgert sich Paparone. Es empört sie, dass es immer mehr Menschen gibt, die nicht bereit sind, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Der Onlinehandel mit Tieren über Portale wie E-Bay mache dem Tierschutzverein deutlich mehr Probleme als der Haustier-Hype während der Corona-Pandemie.

Tierheim-Tourismus in großem Stil auch in Gießen
Immer wieder erleben die Tierschützer die gleichen Geschichten: Jemand entdeckt auf E-Bay einen entzückenden Welpen und kauft den »süßen Teddy«. Der Hund zieht ein, ganz unabhängig davon, ob die Rasse (oder der Rassemix) zum Leben passt, ob Kenntnisse über Hunde oder genügend Zeit vorhanden sind. Spätestens in der Pubertät geht das Hunde-Projekt häufig schief, es stellen sich Probleme ein, der Hund erfüllt nicht mehr die Erwartungen des Käufers, oft entwickelt der Vierbeiner sich zu einem (Angst)beißer, mit dem niemand in der Familie zurecht kommt. Da die Verkäufer sich in der Regel nicht mehr zuständig fühlen, bleiben die Besitzer auf ihrer lebenden »Retoure« sitzen.
An dieser Stelle setzt ein Tierheim-Tourismus ein, den es so vor einigen Jahren noch nicht gegeben hat. Die Hundebesitzer wider Willen klappern Tierheime im ganzen Land ab, um den Vierbeiner loszuwerden. Die Situation ist jedoch überall gleich: Die Tierheime sind voll - und zwar mit Problemfällen, die nicht einfach so vermittelt werden können und lange Zeit die Plätze blockieren.
Die schwierigen Hunde sind in mehrfacher Hinsicht ein Problem, denn sie können oftmals nicht mit anderen Hunden zusammen untergebracht werden, zudem ist eine personalintensive Betreuung und ein sorgfältiges Resozialisierungs-Training notwendig. »Das sind alles Dinge, die viel Geld kosten und wir in diesem Ausmaß nicht leisten können«, verdeutlicht Paparone. Das Tierheim hat Platz für 30 bis 40 Hunde, je nachdem, ob die Bewohner für eine Gruppenhaltung geeignet sind. In ihrer Not haben die Tierschützer in den vergangenen Monaten auch das Büro oder den Seminarraum mit Boxen belegt, doch das ist keine Dauerlösung.
»Tier-Retouren« belasten das Tierheim in Gießen immens: Onlinehandel trägt eine Mitschuld
Die vollen Tierheime, weiß Paparone, haben weitreichende Folgen, denn die Behörden, die Hunde beschlagnahmen, die nicht sachgemäß gehalten werden oder eine Gefahr darstellen, wissen ebenfalls nicht mehr wohin mit den Tieren, seit die Tierheime aus allen Nähten platzen. Dass in immer mehr Haushalten tickende Zeitbomen auf vier Pfoten leben, liegt nach Paparones Ansicht zu einem Teil daran, dass es im Onlinehandel keinerlei Beschränkungen gibt, hier sei eine Korrektur dringend notwendig.
Ebenso notwendig sei aber auch die Einführung eines Hundeführerscheins. »Das ist längst überfällig«, klagt Paparone. Es sei völlig inakzeptabel, dass es möglich sei, ohne jede Sachkenntnis einen Hund zu halten und zu führen. Das sei nicht nur eine Gefährdung der Allgemeinheit, sondern auch unfair den Tieren gegenüber, deren Bedürfnisse komplett ignoriert würden. Ein Herdenschutzhund wie ein Kangal gehöre nicht in eine Stadtwohnung und ein Akita Inu sei kein Familienschmusetier, nennt sie Beispiele.
Mit der neuen Gebührenordnung bei Tierärzten, die seit Ende 2022 gilt, kommt laut der Vorsitzenden ein weiteres Problem auf die Tierheime zu - und auch das habe mit Verantwortungsbewusstsein zu tun. Alte und kranke Tiere können teuer werden, auch dies machten sich viele Menschen vor der Anschaffung nicht klar. Der Tierschutzverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Interessenten fair zu beraten. Nette und unkomplizierte Hunde seien oftmals Vierbeiner aus Südeuropa. »Diese Hunde aus dem Auslandstierschutz brauchen ebenfalls dringend ein neues Zuhause und nehmen niemandem hier den Platz weg«, tritt Paparone einem häufig geäußerten Vorwurf entgegen. (Christine Steines)
Kürzlich benötigte das Tierheim Gießen Spenden, um den Hunden Makani und Lumo aus Rumänien zu helfen.