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Tiefgründige Interpretationen

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Von: Sascha Jouini

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Joshua Velten © Sascha Jouini

Gießen (jou). Ein ansprechendes adventliches Programm hatte der aus Gießen stammende, an der Musikhochschule Leipzig studierende Organist Josua Velten für das Mittwochskonzert in der Bonifatiuskirche zusammengestellt. Drei der vier Kompositionen basierten auf dem Choral »Wachet auf, ruft uns die Stimme« von Philipp Nicolai. Zur Entstehungszeit 1599 wütete die Pest.

Für Velten zeigte der Choral, »dass nicht nur Traurigkeit, sondern auch Freudenspiele ein Mittel sein können, mit dem Tod umzugehen«. Bedächtig bot der Organist den Choral zu Beginn von Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre zum »Paulus-Oratorium« dar. Seine Interpretation zeichnete sich durch gedankliche Tiefe aus und schlug weite musikalische Bögen. So entwickelte die spirituelle Ebene starke Sogkraft - bis hin zur kräftigen Schlusssteigerung.

Als einziges Werk ohne Choralbezug war Maurice Duruflés »Prélude et Fugue sur le nom d’Alain«, geschrieben im Gedenken an den 1940 mit nur 29 Jahren im Krieg gefallenen Komponistenfreund Jehan Alain. Bei der figurativen Motivik in durchgehender Achtelbewegung betonte Velten das spielerische Moment. Im Ganzen dominierte ein verhaltener Klangcharakter mit geheimnisvollen Schattierungen. Velten hatte die Musik in seiner virtuosen Interpretation stark verinnerlicht und spielte sie ausgefeilt. Regelrecht ins Philosophische ging die Doppelfuge. Selten erlebt man einen Künstler am Beginn seiner Karriere derart inspiriert, solch schwierig zu spielende Musik durchleuchten.

Wieder zurück zum Motto des Abends führten Johann Sebastian Bachs »Schübler-Choräle«. In der ersten Nummer war der Choral »Wachet auf« im Tenor in einen freudvollen Rahmen eingebettet. Wie sich im Verlauf zeigte, lag Bach dem jungen Organisten ebenso gut wie die vorangehenden Werke. Untrüglich sein feines Empfinden, mit dem er das kunstvolle Geflecht zeichnete.

Im zweiten Stück spiegelte sich der in der Textvorlage manifestierende Versuch wider, aus den Sünden auszubrechen. Feierlich-ernst wirkte die folgende Nummer. Ganz mysteriös wurde es beim vierten Stück mit dem suchenden Ges-tus. Nr. 5 führte, auf die Osterkantate zurückgehend, in helle Sphären, dies symbolisierte das göttliche Licht und die Wiederauferstehung. In Veltens nuancierter Darbietung rundete der sechste Choral das hervorragende Bild ab.

Das wohl komplexeste Werk hatte der Organist an den Schluss gestellt: Max Regers »Fantasie und Fuge« über besagten Choral. Düster gehalten war der akkordische Auftakt; jähe Fortissimo-Einwürfe schreckten auf. Mit untrüglicher Ader erspürte der bei mehreren Wettbewerben erfolgreiche Organist die apokalyptischen Abgründe. Die Musik offenbarte, Züge einer sinfonischen Dichtung tragend, einen recht freien kompositorischen Umgang mit der Choralvorlage und brachte beim Fugen-Finale das Konzert zu einem eindrücklichen Abschluss. Kräftiger Applaus vom Publikum.

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