Energiekosten in Gießen explodieren: Stadt will Privathaushalten helfen
Schon vor der Explosion der Energiekosten haben einige Gießener die Rechnungen nicht gezahlt oder nicht zahlen können. Die Stadt will daher einen Fonds einrichten.
Gießen - Fünfmal haben die Stadtwerke Gießen in diesem Jahr ihren Kunden bereits Preiserhöhungen für die Energielieferungen übermittelt. Beziehungsweise übermitteln müssen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar sind auch die Einkaufspreise für die Versorger in die Höhe geschnellt. Zweimal kündigten die Stadtwerke dabei Erhöhungen des Strompreises an, zuletzt vor zwei Wochen. Demnach steigt der Preis zum 1. Januar 2023 um über 50 Prozent. Einige Geringverdiener werden das nicht stemmen können. Der Sozialausschuss hat sich daher am Mittwoch einstimmig dafür ausgesprochen, dass der Magistrat ab dem Haushaltsjahr 2023 einen Härtefallfonds zur Vermeidung von Stromsperren bei Energieschulden einrichten soll. Das Votum fiel einstimmig aus.
Der Härtefallfonds richtet sich ausschließlich an private Haushalte, die aufgrund ausstehender Zahlungen von einer Stromsperre bedroht oder schon betroffen sind. Das teilte Ines Müller vom Amt für soziale Angelegenheiten während einer Power-Point-Präsentation mit. Demnach könne ein Antrag nur eingereicht werden, wenn die gesetzlich vorgegebenen Möglichkeiten von Jobcenter und Sozialamt ausgeschöpft seien. Das beinhalte in erster Linie die Gewährung eines Darlehens. »Der Härtefallfonds kann nur einmal in Anspruch genommen werden, es besteht kein Rechtsanspruch«, betonte Müller und fügte an, dass der Fonds mit jährlich 120 000 Euro ausgestattet werden und vom Magistrat alle zwei Jahre in einem Evaluationsbericht überprüft werden soll.
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Weitere Details, wie zum Beispiel die maximale Höhe der jeweiligen Unterstützung, soll der Magistrat in einer Richtlinie festlegen. Fest steht jedoch, dass die Anträge nicht alleine von Bürgern, sondern lediglich durch Einrichtungen, die die Betroffenen bei dem Prozedere unterstützen, gestellt werden können. Zudem soll eine Kommission die schlussendliche Entscheidung fällen, ob die jeweiligen Haushalte für den Fonds infrage kommen.

Vor der Abstimmung hatte Stadtrat Francesco Arman (Gießener Linke) für das Vorhaben geworben. »Steigende Energiekosten sind mit Blick auf die Sicherstellung der Grundversorgung privater Haushalte bereits seit mindestens dem vergangenen Jahr ein zunehmend relevantes Thema.« Gerade die jüngsten Preissteigerungen führten nicht selten zu Verschuldungssituationen, Energiearmut und existenziellen Nöten.
Gleichzeitig sagte Arman, dass sich der Härtefallfonds vor allem an Menschen richte, die schon vor dem Ausbruch des Krieges mit der Zahlung ihrer Rechnungen überfordert gewesen seien - und er nannte als Beispiel Gießener, die ihre Post gar nicht mehr öffneten. »Wir müssen diese Menschen erreichen, um Stromsperren zu vermeiden.«
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Wie viele Gießener von diesem finalen Schritt der Energieversorger betroffen sind, ist unklar. Stadträtin Astrid Eibelshäuser betonte auf eine diesbezügliche Rückfrage von Sozialdemokrat Gerhard Merz, dass lediglich die Zahlen der Gießener Stadtwerke bekannt seien, und dies auch nur für das Verbreitungsgebiet des Energieversorgers.
Die Zahlen der SWG belegen jedoch, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren verbessert hat. Während im Jahr 2013 von den Stadtwerken 1446-mal der Strom abgedreht wurde, war dies 2021 nur noch 454-mal der Fall.
Arman begründete diese Reduzierung vor allem mit Maßnahmen der vergangenen Jahre, zum Beispiel die Unterstützung bei der Gewährung von Darlehen durch Jobcenter und Sozialamt sowie die Arbeit des Runden Tischs Energiearmut, dem unter anderem das Amt für soziale Angelegenheiten, die Stadtwerke, Sozialamt, Jobcenter, Verbraucherzentrale und Schuldnerberatungsstellen angehören.
Aber auch gesetzlich hat sich einiges getan. So gilt seit Anfang 2022 eine bundesweite Regelung zur sogenannten Abwendungsvereinbarung. Diese sieht vor, dass von einer Stromsperre bedrohte Haushalte nach der Eröffnung der Sperrandrohung acht Tage Zeit haben, um die vom Versorger verpflichtend anzubietende sechsmonatige Rückzahlungsvereinbarung zu unterzeichnen.
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Nach Vorstellung des Antrags signalisierten die Mitglieder des Gremiums schnell ihre Zustimmung. Kontroversen gab es dennoch. Der FDP-Stadtverordnete Klaus Dieter Greilich monierte beispielsweise, dass Privathaushalte nicht selbstständig einen Härtefall-Antrag stellen können. Seiner Meinung nach sei zudem keine Kommission nötig, um den Wunsch positiv bzw. negativ zu bescheiden. Die Kriterien dafür könnten - so Greilich - direkt in der Richtlinie festgehalten werden.
Eibelshäuser sah das anders, unter anderem, da die Entscheidungen Ermessensspielräume beinhalteten, was von der Systematik her nicht gut zum Verwaltungshandeln passe.
Johannes Rippl (Gigg/Volt) begrüßte den Fonds ebenfalls, seiner Meinung nach sei der Antrag an einigen Stellen jedoch zu unkonkret, der Evaluationszeitraum zu lang und die Summe von 120 000 Euro zu niedrig. Das änderte aber nichts an seiner Zustimmung. (Christoph Hoffmann)