Bundesweiter Streik: Auch in Gießen stehen fast alle Räder still

Der Verkehrsstreik hat sich am Montag auch in Gießen ausgewirkt. Im Zugverkehr ging nichts, auch nicht auf den Regionalstrecken der Hessischen Landesbahn.
Gießen - Früher galt Gießen als verkehrsreichster Bahnhof in Deutschland ohne ICE-Anschluss. Mittlerweile gleiten die weißen Expresszüge auch durch Mittelhessen. Aber nicht an diesem Montag. Der bundesweite, eintägige Verkehrsstreik, zu dem die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG und Verdi aufgerufen haben, hat den ansonsten wuseligen Gießener Bahnhof in einen öden Haltepunkt verwandelt, wie man ihn aus dem Italowestern »Spiel mir das Lied vom Tod« kennt. Statt Mundharmonikaklängen hört man Lautsprecherdurchsagen: »Lassen sie kein Gepäck unbeaufsichtigt auf dem Bahnsteig stehen«. Welches Gepäck?
Auf dem Vorplatz hat die EVG in der Morgensonne ihren Streikposten bezogen. »Sogar das Wetter spielt mit«, freut sich Streikleiter Klaus Zecher, Vorsitzender des EVG-Ortsverbands Mittelhessen und als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in der Region bekannt. Bereits um vier Uhr morgens war er am Bahnhof und hat den letzten Zug abfahren sehen. Seitdem gehe im Fern- und Regionalverkehr »nichts mehr«.
Streik in Gießen: Zugverkehr nur auf Anzeigetafeln
Auch nicht bei der Hessischen Landesbahn, die unter anderem die Strecken nach Fulda und Limburg sowie nach Gelnhausen bedient und einen eigenen Tarifvertrag hat. Aber in den Stellwerken und Verkehrszentralen arbeiten Mitarbeiter der Bahn und Mitglieder der EVG. »Die dachten halt, sie könnten fahren«, sagt Zecher - und lächelt. 30 Meter hinter ihm, im Oberhessischen Bahnhof, wo die HLB-Züge abfahren, sieht es tatsächlich so aus, als ginge noch etwas. 9.22 Abfahrt nach Limburg verkündet die Anzeigetafel. Aber unter den wenigen Fahrgästen, die auf die HLB gehofft hatten, hat sich rumgesprochen, dass auch der Regionalverkehr steht. Eine junge Frau, die mit ihrem Fahrrad am Gleis 11 wartet, schimpft: »Dann sollen sie es nicht so groß da hinschreiben, dass der Zug fährt.«
Tatsächlich machen die Anzeigentafeln an den Bahnsteigen zu diesem Zeitpunkt noch falsche Hoffnungen und zeigen Zugankünfte an - bis in den Nachmittag hinein. Auf den Infostelen in der Bahnhofshalle stehen dagegen die bitteren Wahrheiten: »fällt aus«, »fällt aus«, »fällt aus«. Bei Menschen indes, die kein Deutsch können, kommt auch das nicht an. Eine junge Ukrainerin, die nach Marburg will, ist den Tränen nahe, als sie vom Google-Übersetzer erfährt, dass heute keine Züge mehr fahren. Bei den wenigen Menschen, die in der Bahnhofshalle warten und verständnislos auf die Anzeigetafeln starren, handelt es fast ausnahmslos um Ausländer.
Unter den bis 50 Bahnmitarbeitern auf dem Vorplatz, die sich mit Kaffee und Energietrinks warm und wach halten, ist die Stimmung gut. Im Grunde alle Berufsgruppen seien vertreten, vom Reiseservice bis zum Gleisbauer, erklärt Zecher, der von einem »vollen Erfolg« spricht. Einerseits zeige der Streik Wirkung, andererseits sei das »große Chaos« dank frühzeitiger Ankündigung durch die EVG ausgeblieben. »Auch von der großen Beteiligung bin ich positiv überrascht«, sagt der Streikleiter. Für den langjährigen Gewerkschafter ist die Situation neu. Früher seien bei Warnstreiks einzelne Bereiche bestreikt worden, diesmal sei es die gesamte Infrastruktur.
Ab dem Mittag füllen sich die Busse in Gießen wieder
Die Tarifrunde ist vor allem eine Lohnrunde; zwölf Prozent oder mindestens 650 Euro mehr im Monat fordert die EVG. Ein Reiseberater verweist auf »heftig gestiegene Lebenshaltungskosten«.
Vor dem Streikposten herrscht auf dem Busbahnhof normaler Fahrbetrieb. Die Stadtwerke-Tochter Mit.Bus, die den Stadtbusverkehr erledigt, und die Unternehmen, die den Regionalverkehr fahren, gehören zum privaten Busgewerbe mit einem anderen Tarifvertrag. Dass an der großen Schnittstelle zwischen Zug- und Busverkehr an diesem Montag kaum Busfahrgäste zu sehen sind, ist keine Überraschung. Aber auch im übrigen Stadtgebiet stehen um diese Zeit nur wenige Fahrgäste an den Haltestellen, die Busse sind schwach besetzt. Ab dem Mittag füllen sich die Busse wieder. (mö)
Auch andernorts in Gießen wird gestreikt: Das 100-Tage-Ultimatum am Uniklinikum in Gießen und Marburg ist abgelaufen, nun streiken die Beschäftigten vorerst bis Freitag (31. März).