Still Standing auch nach 117 Jahren

Das Musikhaus Schoenau gibt es bereits seit über 100 Jahren. Simon Bender gehört das Geschäft, in dem allerlei Instrumente und musikalisches Zubehör verkauft werden, gerade einmal zwei Jahre. Dafür hat der 38-Jährige wenige Wochen nach der Übernahme die wohl größte Herausforderung der Firmengeschichte meistern müssen.
Alicia Keys und Elton John sind an diesem Nachmittag zu Gast im Schiffenberger Tal. Wobei, eigentlich sind sie das jeden Tag. Die beiden Ausnahmekünstler werben auf Plakaten im Musikhaus Schoenau für den Kauf eines Klaviers. Wer es etwas extravaganter mag, kann auch einen der Flügel erwerben, die auf der Ausstellungsfläche angeboten werden. Die edlen schwarzen Tasteninstrumente sind ein Hingucker der rund 800 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche, sie bilden aber nur einen Bruchteil des Produktsortiments ab. »Wenn man alles zusammennimmt«, sagt Inhaber Simon Bender, »kommen wir auf zirka 1000 Instrumente.« Gitarrensaiten, Notenständer oder Mundstücke für Blasinstrumente sind darin noch nicht eingerechnet. Das zeigt: Das Musikhaus Schoenau ist für Musiker und jene, die es werden wollen, in Mittelhessen erste Anlaufstelle - und das seit über 100 Jahren.
Umsatzrückgang durch Pandemie
1905 gründete Robert Schoenau in Dillenburg ein Pianohaus. Zehn Jahre später folgte der Umzug nach Gießen in die Wilhelmstraße. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wechselte der Standort mehrfach innerhalb der Gießener Innenstadt. Zwischenzeitlich hatte Hans-Joachim Reh, der das Geschäft bereits 1980 von der Witwe des Firmengründers übernommen hatte, einen zweiten Laden in Klein-Linden eröffnet. 2001 wurden beide Geschäfte im Schiffenberger Weg vereint. Bender, der bereits seit zwölf Jahren für das Unternehmen arbeitet, hat es dann im Februar 2020 übernommen. »Sechs Wochen vor dem ersten Lockdown«, sagt der 38-Jährige und fügt lachend an: »Ich durfte also direkt Geschäftsführer im Kriesenmodus sein.«
Es gibt kaum ein Unternehmen, dessen Geschäfte nicht von Corona beeinflusst (gewesen) sind. Oftmals negativ, manchmal positiv. Bender will das gar nicht so scharf trennen. »Durch Corona hatte ich die Chance, Änderungen vorzunehmen, die sonst wesentlich länger gedauert hätten.« Darunter fällt zum Beispiel die Renovierung der E-Gitarren-Abteilung, die Umstrukturierung des Kassenbereichs oder die Zentralisierung des Lagers. »Wir haben auch einen Onlineshop entwickelt, auf dem wir mittlerweile 5000 Produkte anbieten.« Gleichzeitig sind durch die Schließung viele Kunden ausgeblieben und die bis heute leidende Kulturbranche wirkt sich ebenfalls negativ auf das Geschäft aus, sagt Bender. Der Umsatz, der zuvor meist bei rund 1,5 Millionen Euro gelegen habe, sei um zirka 20 Prozent eingebrochen.
Corona lässt Leute Instrumente lernen
»Und wir befinden uns ja immer noch im Krisenmodus«, betont Bender. Wie viele andere Branchen leide auch das Musikgeschäft Schoenau un-ter Lieferschwierigkeiten. »Alles, was mit dem Container aus Asien kommt, braucht deutlich mehr Zeit.« Besonders problematisch sei die Beschaffung von E-Pianos, da es an den darin verbauten Chips mangele.
Wegen all dieser Herausforderungen könnte Bender Trübsal blasen. Macht er aber nicht. Zum einen, weil Corona neben den internen Umstrukturierungen auch weitere positive Aspekte hervorgebracht habe. »Während der Pandemie haben viele Menschen angefangen, ein Instrument zu lernen.« Besonders für diese Gruppe sei das Angebot, 90 Tage lang für 90 Euro ein Instrument ausleihen zu können, attraktiv, sagt Bender. Abgesehen davon erfreut sich der Geschäftsführer über die Gründung des Musikzentrums Mittelhessen im vergangenen Jahr gemeinsam mit der ebenfalls im Gebäude angesiedelten Musikzentrale, wo schon die Kleinsten in Bass, Gesang, Gitarre, Keyboards, Klavier oder Saxofon und Schlagzeug unterrichtet werden.
Und nicht zuletzt wirkt Bender wie jemand, der seine Arbeit gerne macht. Musik liegt ihm am Herzen, der 38-Jährige spielt selbst Saxofon und Schlagzeug, in seinem Büro hängen zudem Bilder seiner Kinder, die sich ebenfalls an Instrumenten versuchen. »Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie viel Spaß Musik Kindern machen kann«, sagt der Geschäftsführer. Umso trauriger sei es, dass viele Jungen und Mädchen heute lieber vor dem Smartphone, am Computer oder vor dem Fernseher säßen, als etwa am Klavier oder dem Schlagzeug.
Vielleicht wird das ein oder andere Gießener Kind unterm Christbaum ja eine Gitarre statt einem iPhone finden. »Das Weihnachtsgeschäft ist auch für unsere Branche die wichtigste Zeit im Jahr«, sagt Bender. Auch wenn die Prognosen wegen der Inflation bei einigen Experten bescheiden ausfallen, bleibt der Inhaber des Musikhauses Schoenau zuversichtlich. Nicht nur für Weihnachten, sondern auch die Zeit danach.
»I keep on fallin’« sang Alicia Keys einst in ihrem größten Hit. Für sein 117 Jahre altes Unternehmen dürfte es Bender aber eher mit Elton John halten: »I’m Still Standing!«