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Statt 25 nur noch sechs Schüler

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Sehr glücklich mit seiner Entscheidung, sich zum Tourismuskaufmann ausbilden zu lassen, ist Semi Temiszoy, der bei der Flugbörse Gießen arbeitet. © Guido Mark Tamme

Frankfurt, Gießen und Kassel: Das sind die Standorte, an denen angehende Tourismuskaufleute die Berufsschule besuchen. Doch der zentrale Standort droht wegzufallen: Aktuell haben die drei Klassen an der Max-Weber-Schule nur noch fünf bis sechs Schüler. Bis 2019 waren es noch um die 25. Die Schule will gegensteuern und mit einer Ausbildungsmesse für ein Berufsbild werben, das attraktiv ist bei jungen Leuten aber dennoch an Bedeutung verloren hat.

Sarah Clausnitzer unterrichtet an zwei Tagen pro Woche die Auszubildenden der Reisebranche im heimischen Raum. Warum die Zahl ihrer Schüler dramatisch geschrumpft ist, vermag die gelernte Reiseverkehrskauffrau nicht genau zu sagen. Sie vermutet, dass es vor allem am fehlenden Wissen zu den vielfältigen Möglichkeiten dieses Berufsbildes, an dem falschen Glauben, das Internet sei dem stationären Reisevertrieb überlegen, und am allgemeinen Trend zu einem Studium liegt.

Dabei ist das Stellenangebot der Tourismusbranche in Mittelhessen weit gefächert. Zu diversen und zum Teil spezialisierten Reisebüros und Veranstaltern wie Philippi Reisen oder Gimmler Reisen kommen drei große »Paketer«, die komplette Reisearragements an Veranstalter und Gruppen verkaufen.

Auch an den Zukunftsaussichten der Branche kann die Skepsis unter jungen Leuten, die vor der Berufswahl stehen, eigentlich nicht liegen. Der Tourismus war zwar von Corona arg gebeutelt worden, hat sich aber schon im vergangenen Jahr deutlich erholt. »Die Reiselust der Deutschen ist ungebrochen«, weiß Niklas Göbel, Geschäftsführer des Reisebüros Flugbörse Gießen. Geschäftsführerin Tina Behringer von Behringer Touristik ist überzeugt: »Ab 2024 wird sich der Markt wieder normalisiert haben.«

Die Fachleute bezweifeln auch, dass der Klimawandel und eine etwaige »Flugscham« der Anziehungskraft der Branche schaden. Sarah Clausnitzer sieht allenfalls eine Verlagerung: »Vielleicht etwas mehr Europa als Fernost oder Südamerika.« Im Übrigen lebten ganze Regionen vom Tourismus. »Wenn wir das fördern, ist das ebenfalls nachhaltig«, gibt Tina Behringer zu bedenken. Ihr Unternehmen reagiert auf den Trend, indem es zunehmend Rad- und Wanderreisen für Gruppen anbietet.

Dass Reisebüros allmählich zugunsten von vermeintlich preiswerteren Online-Buchungen an Kundschaft verlieren könnten, glauben die Insider nicht. Bei Pauschalreisen gebe es keinen Preisunterschied, betont Niklas Göbel. »Und bei uns kommt die persönliche Betreuung und die Beratung für alle Eventualfälle dazu.«

Die Reiselust ist ungebrochen

Aus Sicht von Studienrätin Clausnitzer ist »Tourismuskaufmann/-frau« deshalb weiterhin ein Traumberuf für Schüler mit Abitur, mittlerer Reife oder gutem Hauptschulabschluss. Schließlich geht es um die »schönste Zeit des Jahres«, wie die Branche gerne wirbt. Wer sich für fremde Kulturen interessiert, kontaktfreudig ist, das Planen mag und gern andere überzeugt, ist hier richtig aufgehoben. »Wer auch in seiner Jugend schon vorangegangen ist, wird im Tourismus glücklich«, hat Mark Philippi beobachtet, der Inhaber von Philippi Reisen. Die Entlohnung in der Branche ist zwar wegen der engen Margen nicht gerade üppig. Doch werde dieser Nachteil durch regelmäßige Dienstreisen zu interessanten Zielen und andere Vergünstigungen ausgeglichen, heißt es.

Aus Überzeugung den Weg in die Reisebranche gewählt hat beispielweise Semi Temiszoy. Der 25-Jährige bringt als Fachabiturient und Fremdsprachensekretär eine ideale Voraussetzung mit. Er war zwar erst in der Eventbranche tätig, die 2020 praktisch lahmgelegt wurde, und versuchte sich dann als Zimmermann-Auszubildender. Aber seit August 2021 lernt der Gießener, der immer schon Lust am Reisen verspürt hat, bei der Flugbörse Gießen. Er ist sehr zufrieden: »Ich bin bei einem renommierten Büro, arbeite in einem guten Team und ich kann viel von der Welt sehen.« Während sich bei der Flugbörse ausreichend Ausbildungswillige melden, sieht es bei Philippi Reisen (Groß-Eichen) anders aus: Das Unternehmen würde gern sofort zwei, drei künftige Tourismuskaufleute einstellen., findet aber keine Bewerber. »Das liegt sicher auch an unserem etwas ungünstigen Standort am Rande des Vogelsbergs«, sagt Inhaber Mark Philippi. Er hofft dennoch, dass die bevorstehende Ausbildungsmesse für eine Besserung sorgt.

Wirklich schwierig ist die Situation aber vor allem für die Gießener Max-Weber-Schule. Schließlich verlangt das hessische Kultusministerium zur Sicherung der dualen Ausbildung an den Berufsschulen ab 2025 eine Klassenstärke von zwölf Schülerinnen und Schülern. Die aktuelle Auslastung der hiesigen Klassen für Tourismuskaufleute liegt also deutlich darunter.

Um das Berufsbild »Tourismuskaufmann/frau« wieder stärker bei jungen Menschen vor der Berufswahl ins Gespräch zu bringen, veranstaltet die Max-Weber-Schule am Donnerstag, 16. Februar, von 9 bis 15 Uhr eine Ausbildungsmesse. Mindestens neun heimische Tourismusbetriebe sind mit Ständen dabei. Sie wollen sich den Besuchern vorstellen und versuchen, sie für diese Ausbildung zu begeistern. Gleiches versuchen aktuelle MWS-Schüler mit einem Imagefilm, den sie gerade produzieren, Organisatorin Sarah Clausnitzer hofft, dass vielen heimischen Schülern der Besuch der Messe ermöglicht wird. Die entsprechenden Anschreiben für Schulleiter und Klassenlehrer bereitet sie derzeit vor. Wer Näheres wissen will, erreicht die Berufschullehrerin unter s.clausnitzer@mws.schule.

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